Buch 01: Die Evolution der Natur

Die Lehre vom Sein

Diskurs 01.25


Das monistische Weltbild
von Winfried Krakau

(1) Ausbildung des Rationalismus und der Aufklärung ab dem 16. bis 18. Jahrhundert im noch christlichen Abendland.

Nicht zufällig, sondern im Gefolge der französischen Aufklärung und durch den Siegeszug der aufblühenden Naturwissenschaft und Philosophie, entstehen in Europa vielfältige Weltbildvorstellungen, in denen monistische Gedanken auftauchen. Immer geht es dabei auch um den Kampf gegen herrschende politisch-dualistische Systeme, die durch Adel und Klerikale gestützt werden:

Julien Offray de Lamettrie (1709-1751)
skizziert in seinem Buch „Naturgeschichte der Seele“ (1745) eine materialistische Theorie des Bewusstseins. Dieses Buch wurde verbrannt und sein Autor floh nach Holland. Dort beschrieb er in „Der Mensch als Maschine“ (1747) einen rein mechanistisch-materiellen Monismus, in dem kein Platz für eine besondere, denkende Substanz oder gar Gott ist. Folgerichtig wird auch dieses Buch indiziert, wird er aus Holland ausgewiesen und findet Asyl in Preußen bei dem toleranten Friedrich II. Auch Claude-Adrien Helvetius (1715-1771) postuliert „die unendliche, unerschaffene und ewige Natur“.

Christian von Wolff

Zu dieser Zeit lebt in Deutschland Christian von Wolff (1679-1754),
der ebenfalls wegen Atheismus des Landes verwiesen wurde und bei Friedrich II in Preußen einen Fürsprecher fand. Durch seine Beschäftigung mit Konfuzius stellte er den Dualismus des Christentums in Frage und prägte wahrscheinlich als erster den Begriff Monismus als „nur einem Prinzip des Wirklichen“3.

Nahezu alle folgenden Philosophen, selbst Kant in seiner vorkritischen Periode, greifen, von den Naturwissenschaften inspiriert, monistische Grundgedanken auf. Kant (1724-1804) („was das Wesen der Materie ausmacht ist die Kraft“), Schopenhauer (1788-1860) definiert den nichtbewussten Willen als Weltprinzip, Nietzsche (1844-1900) meint, der Leib (das Materielle) sei die größere Idee als dies die Seele oder der Geist sein können („Dein Leib ist eine große Vernunft, die sagt nicht Ich, sondern tut Ich“… Der menschliche Leib, an dem die ganze fernste und nächste Vergangenheit alles organischen Werdens wieder lebendig und leibhaftig wird, durch den hindurch, über den hinweg und hinaus ein ungeheurer, unhörbarer Strom zu fließen scheint: der Leib ist ein erstaunlicherer Gedanke als die alte Seele“).

(2) Die Vorstellung von der Welt als einem einheitlichen System.

Der Begriff Monismus (griechisch: monos = einzig) beschreibt ein einheitliches Weltsystem, außerhalb dessen nichts anderes existiert, und in dem ein einziges, differenziertes, umfassendes Wirkprinzip herrscht. Der atheistische Monismus bildet die Grundlage naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, nach denen es Seinsgesetze gibt, die uneingeschränkt in allen Teilen des Kosmos herrschen, und denen auch der Mensch unterliegt, da er integraler Bestandteil des Einen ist4. Damit steht der Monismus in einem unauflösbaren Widerspruch zum Dualismus, der zwei getrennte Welten annimmt (Materielle und geistige Substanzen): „Stoff und Geist, Materie und Seele existieren unabhängig voneinander und können sich trotzdem gegenseitig beeinflussen.“ Diese Auffassung von zwei gegensätzlichen Seinskategorien in einer Welt ist die Grundlage aller religiösen, insbesondere monotheistischen Weltbilder. Gegen derartigen Dualismus steht der Monismus.

(3) Konsequenter Monismus im säkularen Abendland

Thomas Hobbes

Der Monismus von Thomas Hobbes  in „Vom Körper“ (1655) und „Vom Menschen“ (1658).
Ausgehend von der geistigen Unfruchtbarkeit der herrschenden Scholastik erkennt Hobbes (1588-1679) als einer der ersten, dass die Materie Grundlage der Natur ist, dass sie, in ständiger Bewegung und in kausalem Zusammenhang steht, und dass dieser über unsere Wahrnehmung erkannt werden kann. Rationale Erkenntnis ist für ihn mathematische Berechnung. Sein Weltbild ist mechanistisch, auch was den menschlichen Geist und gesellschaftliche Zusammenhänge angeht. Im gesamten Weltgeschehen herrscht Determination, auch im Hinblick auf den menschlichen Willen. Trotzdem bleibt er Agnostiker (Begrenztheit des menschlichen Wissens). Sein Monismus ist noch unvollständig.

Erst später, im 18. Jahrhundert, entstehen in sich stimmige, konsequente, naturwissenschaftliche monistische Systeme, während in den vorherigen Perioden nur Teilaspekte des Materiellen erkannt wurden. Zu den schlüssigen Systemen gehören der Monismus von Paul Thiry d` Holbach in „Das System der Natur“, von Jakob Moleschott  in „Der Kreislauf des Lebens“, von Ludwig Büchner in „Kraft und Stoff“ und von Ernst Haeckel in „Die Welträtsel“.

Paul Thiry d` Holbach

Der Monismus von Paul Thiry d` Holbach in „Das System der Natur“ (1770).
Holbach (1723- 1789) war mit Diderot befreundet und arbeitete an dessen „Enzyklopädie“ mit. Viele Artikel von ihm beschäftigten sich mit Chemie und Geologie, sowie mit Mythologie und Religion der Völker. Streng anonym ging er nicht nur dort, sondern auch in seinen späteren Veröffentlichungen vor, um Verfolgungen wegen Atheismus zu entgehen. In seinem Hauptwerk „Das System der Natur“ (1770) entwickelt er sein monistisches System und geht davon aus, dass die Welt unendlich ist, von der sich bewegenden Materie bestimmt wird, und dass alle Bewegung gesetzmäßig erfolgt. Diesem Geschehen unterliegt auch der Mensch, daher sind Geist und Seele materiell bedingt. Die objektive Realität existiert unabhängig vom Bewusstsein. Ebenso wie später Ernst Haeckel formuliert er auch einen atheistischen Moralkodex. Insbesondere betont er die Abhängigkeit des menschlichen Lebens vom Körperbau, von den Menschen, die uns beeinflussen usw., so dass auch der Wille determiniert ist. „Die Freiheit des Menschen ist nur die in ihm selbst enthaltende Notwendigkeit“. Die christliche Religion wird von ihm heftig attackiert und vor allem wegen ihres politischen Einflusses als absurd gekennzeichnet. Der Glaube an höhere Wesen ist auf Unwissenheit, Angst und Gewohnheit zurückzuführen. Die bisherige Disharmonie von Egoismus und Altruismus führt er auf gesellschaftliche Unnatürlichkeiten zurück.

Jakob Molescott

Der Monismus von Jakob Moleschott in „Der Kreislauf des Lebens“ (1852)
Moleschott (1822-1893) war einer der ersten, der die Wirklichkeit als Kraft und Stoff begriffen hat. Jede Erkenntnis beruht auf Wahrnehmung und Erfahrung. Der Stoff ist in ständiger Bewegung und in einem ewigen Kreislauf. Das Anorganische bringt das Organische hervor und aus dem Organischen entwickeln sich auch die psychischen Vorgänge. Letztere sind wie alle Erscheinungen der Wirklichkeit an den Stoff gebunden, daher gibt es auch keine Willensfreiheit. Als Atheist gebrandmarkt, verlor er in Heidelberg seine Lehrbefähigung.

Ludwig Büchner

Der Monismus von Ludwig Büchner in „Kraft und Stoff“ (1855)5
Ludwig Büchner (1824-1899) zeigte sich noch vor Ernst Haeckel als konsequenter materialistischer Monist. Ähnlich wie später Ernst Haeckel, wirkte er auch politisch. Nachdem er unter dem Einfluss seines Bruders Georg an der 1848er Revolution teilgenommen hatte, und als sein epochemachendes Buch erschienen war, wurde ihm 1855 die Lehrerlaubnis entzogen, so dass er als Arzt praktizieren musste. Er popularisierte bereits als einer der ersten die Evolutionstheorie von Charles Darwin. Sein Buch erlebte 21 Auflagen in 50 Jahren. 1881 gründete er den Freidenkerbund. Zeitlebens blieb er Republikaner. Die in seiner Zeit erreichten naturwissenschaftlichen Kenntnisse fügte er erstmalig zu einem Gesamtbild des evolutionären Kosmos zusammen. Dabei bediente er sich einer einfachen, mitreißenden, volkstümlichen Sprache, was ihm sogar von Marx und Engels als vulgär angekreidet wurde. Mit bewundernswertem Elan bekämpfte er christliche, dualistische Vorstellungen und trat beharrlich und offensiv für seine Überzeugungen ein. Er war ein Verteidiger der materialistischen Weltanschauung, die auch in die Gesellschaft hineinwirken sollte. Unter anderem deshalb wurde seine Überzeugung 1852 in einem Kirchenlexikon wie folgt verunglimpft:
„Der Materialismus kennzeichnet sich vom kulturhistorischen Standpunkt aus einerseits als Fäulnisprodukt einer sittlich gesunden Gesellschaft, andererseits als Herd weiterer sittlicher Verpestung derselben, und er erscheint daher auch vom kulturhistorischen Standpunkt aus als durchaus verwerflich und innerlich
unwahr“.

Büchner postuliert:
„Keine Kraft ohne Stoff – kein Stoff ohne Kraft! Eines für sich ist so wenig denkbar als das andere für sich; auseinandergenommen zerfallen beide in leere Abstraktionen“.

Zu den einheitlich im Kosmos geltenden Gesetzen stellt er fest, dass sie sich in Übereinstimmung mit den Denkgesetzen des Menschen befinden:
„Dass Geist und Natur immer dasselbe, dass Vernunft- und Naturgesetze identisch sind, dürfte im Wesentlichen schon aus dem hervorgegangen sein, was wir über das Verhältnis von Kraft und Stoff vorgebracht haben. Was wir Geist, Denken, Erkenntnisvermögen nennen, setzt sich aus natürlichen, wenn auch eigentümlich kombinierten Kräften zusammen, die wiederum wie jede andere Naturkraft nur an bestimmten Stoffen in Erscheinung treten können. Diese Stoffe sind im organischen Leben nur in einer unendlich komplizierten und besonders gestalteten Weise verbunden und bringen deswegen auch Effekte hervor, die uns für den ersten und oberflächlichen Anblick wunderbar und unerklärlich erscheinen, während in der anorganischen Welt alle Prozesse und Wirkungen unendlich einfacher und daher auch leichter zu begreifen sind. Aber im Wesen sind beide dasselbe, und die Erfahrung lehrt uns daher auch auf jedem Schritte, dass die Gesetze des Denkens die Gesetze der Welt sind.“

Er beschreibt die Naturgesetze als unabänderlich:
„Die Gesetze, nach denen die Natur tätig ist, nach denen der Stoff sich bewegt, bald zerstörend, bald aufbauend und die mannigfaltigsten organischen oder anorganischen Bildungen zuwege bringend, sind ewige und unabänderliche. Eine starre, unerbittliche Notwendigkeit beherrscht die Masse. »Das Naturgesetz«,
sagt Moleschott, »ist der strengste Ausdruck der Notwendigkeit«.“

Zur Frage von Gehirn und Geist äußert er sich eindeutig,
dass das Gehirn das Organ des Denkens ist, und dass beide in einer so unmittelbaren und notwendigen Verbindung stehen, dass eines ohne das andere nicht bestehen, nicht gedacht werden kann – dies ist eine Wahrheit, die kaum einem Arzte oder Physiologen zweifelhaft sein kann.“

Zum Menschen führt er aus:
„Er ist das letzte und oberste Glied des  irdischen Zeugungsaktes, keine andern Mächte sind ihm bekannt als die der Natur, welche er durch Erkenntnis zu beherrschen und zu zügeln vermag. In dieser Erkenntnis ist er Mensch und Gott zu gleicher Zeit; Mensch, insofern er, selbst ein Teil des Stoffs, von den Gesetzen abhängig ist, welche dem Stoff von Ewigkeit her inhärent sind – Gott, insofern er die Gesetze des Stoffs zu erkennen, zu durchschauen und dadurch zu beherrschen und zu seinen Zwecken zu verwenden vermag…Und es ist die alltäglichste Erfahrung, dass der Mensch erst mit der allmählichen Entwicklung seiner Sinne und in dem Maße, als er sich durch dieselben in eine bestimmte Relation zur Außenwelt setzt, geistig zu leben beginnt, und dass die Entwicklung dieses seines geistigen Wesens gleichen Schritt mit der Entwicklung seiner Sinn- und Denkorgane, sowie mit der Zahl und Bedeutung der empfangenen Eindrücke hält.“

Die Willensfreiheit begreift er als nicht gegeben:
„Der Mensch ist nicht minder physisch und geistig ein Produkt solcher äußeren Umstände, Zufälligkeiten, Anlagen und wird auf diese Weise nicht jenes geistig unabhängige, freiwählende Wesen, als welchen ihn die Moralisten sich vorzustellen pflegen… So ist der Mensch ein Produkt, eine Summe natürlicher, körperlicher Anlagen und äußerer Einwirkungen sowohl in seinem ganzen geistigen Wesen als auch in jedem einzelnen Moment seines Handelns.“

Zusammenfassend formuliert er:
„Wer die Empirie verwirft, verwirft alles menschliche Begreifen überhaupt und hat noch nicht einmal eingesehen, dass menschliches Wissen und Denken ohne reale Objekte ein non sens ist. Denken und Sein sind ebenso unzertrennlich wie Kraft und Stoff, wie Geist und Materie, und ein materieloser Geist ist eine willkürliche Annahme ohne jede reale Basis, eine Hypothese.“

(4) Der Monismus von Ernst Haeckel in „Die Welträtsel“ (1899)1.

Ernst Haeckel

Ähnlich wie Büchner geht auch Ernst Haeckel (1834-1919) weit über ein bloßes monistisches naturwissenschaftliches System hinaus und diskutiert gesellschaftlich brisante Themen, wie monistische Erziehung und Bildung, Ethik und Moral7. Eine Zusammenfassung seiner Erkenntnisse beschreibt Haeckel fünf Jahre vor seinem Tode in seinem Essay „Gott-Natur“ (1914) wie folgt:

„Unsere monistische oder naturwissenschaftliche Erkenntnistheorie betrachtet die Erkenntnis als einen physiologischen Naturprozess, dessen anatomisches Organ unser menschliches Gehirn ist…  Die sichere Grundlage aller Wissenschaft ist ausschließlich die Erfahrung (Empirie)… Ursprünglich sind alle Gedanken und Vorstellungen a posteriori (durch Empirie) erworben. Durch Assoziation der Begriffe entstehen aber neue Erkenntnisse, die dann scheinbar a priori (ohne vorhergehende empirische Grundlagen) auftreten… Der sicheren Genauigkeit der Erfahrung sind enge Grenzen gesetzt, schon durch die Beschaffenheit unserer menschlichen Sinnesorgane und des Gehirns… Die Lebenstätigkeit des menschlichen Organismus, die physiologischen Funktionen seiner Organe, sind beim Menschen wie bei allen anderen Tieren, an die anatomische und histologische Beschaffenheit seiner Organe gebunden und durch deren physikalische und chemische Eigenschaften bedingt… die „Seele“ oder der „Geist“ des Menschen ist kein besonderes, vom Körper unabhängiges „Wesen“, sondern die Summe von Gehirntätigkeiten… Daraus ergibt sich klar und unzweideutig, dass es keinen „freien Willen“ gibt… Die persönliche Seelentätigkeit verläuft zum größten Teil unbewusst; die “innere Spiegelung“ im Phronema, welche das eigentliche Wesen des Bewusstseins ausmacht, ist ein vorübergehender Zustand der Großhirnrinde… Die Wissenschaft kennt keine Unsterblichkeit der Seele.

Ein einziges, allumfassendes Naturgesetz beherrscht das ganze Weltall (Universum und Kosmos), und alles ist zugleich Natur… Es gibt drei untrennbare Attribute oder Grundeigenschaften: die raumerfüllende Materie (Stoff), die wirkende Energie (Kraft) und die empfindende Weltseele (Psychom)… Es gibt keinen „Anfang der Welt“ und gibt auch kein „Ende der Welt“… Das Universum ist beständig und unzerstörbar… Materie und Energie können nicht getrennt werden.“

Ernst Haeckel geht damit von der sogenannten Trinität der Substanz aus. Materie, Energie und Psychom sind zwar unterscheidbar, lassen sich aber nicht trennen. Die Kategorie Psychom ist dabei strittig. Dieser Begriff ist dem menschlichen Bereich entlehnt (Psyche) und kann daher nicht ohne weiteres auf Anorganisches übertragen werden. Haeckel sagt dazu wörtlich:

„Alle Substanz (anorganische und organische) ist empfindlich und reizbar – also „belebt“ im weitesten Sinne.“

Daraus geht hervor, dass sich Haeckel dieses Widerspruchs bewusst ist. Er relativiert  belebt durch Gänsefüßchen und spricht von im weitesten Sinne belebt. So kann „im weitesten Sinne“ der Begriff „Psychom“ heute mit dem Begriff „Information“ oder „Form“ beschrieben werden. Alle uns zugänglichen Erscheinungen des Seins besitzen eine Struktur oder Form (der Kosmos ist nicht gleichförmig mit Substanz erfüllt). Auf Grund ihrer Form bzw. atomaren Struktur passen bestimmte Strukturen zusammen oder auch nicht, und so kommt Bewegung, Abstoßung oder Anziehung  (z.B. Molekülbildung) in das Ganze. Dabei entstehen neue, besser angepasste Strukturen bzw. strukturelle Wandlungen (Evolution). Im weitesten Sinne kann damit Haeckels Erkenntnis durchaus auch heute bestätigt werden. Ebenso ist seine Definition des Seins als „Substanz“ geeignet auch die dunkle Materie und Energie einzubeziehen.

Da Haeckel auch im Politischen tätig war (Gründung des Monistenbundes 1906) geriet er 1907 in Gegensatz zum Preußischen Herrenhaus, in dem seine Weltanschauung als „Rückfall in die Barbarei“ gewertet wurde

(5) Ernst Haeckels monistisches Gesamtsystem [überarbeitet von Winfried Krakau2]

  1. „Die naturgemäße, einheitliche Weltanschauung hat ihren festen Grund allein in den wissenschaftlichen Erkenntnissen, welche die menschliche Vernunft durch kritische Erfahrung gewonnen hat.
  2. Die wahre Wissenschaft gewinnt diese empirischen oder erfahrungsmäßigen Erkenntnisse einesteils durch die sinnliche Beobachtung der Außenwelt, anderenteils durch die bewusste Reflexion unserer geistigen Innenwelt; die Organe der ersteren sind die Sinneswerkzeuge und die Sinnesherde unserer Großhirnrinde; zwischen diesen, in beständiger Wechselwirkung mit ihnen, liegen die Denkherde, die eigentlichen Vernunftorgane.
  3. Im Gegensatz zu dieser monistischen Erkenntnistheorie behauptet die herrschende, dualistische Weltanschauung, dass die wichtigsten und tiefsten Erkenntnisse nicht durch natürliche Erfahrung, sondern durch übernatürliche oder göttliche Offenbarung gewonnen würden. Alle diese Angaben beruhen entweder auf unklaren und unkritischen Glaubenslehren (Dogmen) oder auf absichtlicher Täuschung.
  4. Ebenso unhaltbar und der Erfahrung widersprechend ist die Behauptung der Metaphysik (Kant), dass ein Teil der wichtigsten Erkenntnisse a priori, unabhängig von jeder Erfahrung, allein durch Vernunftschlüsse gewonnen werde. Tatsächlich sind die sogenannten „Erkenntnisse a priori“ alle durch Assoziation von Vorstellungen entstanden, die ursprünglich aus Ketten von Erfahrungen, a posteriori erlangt wurden.
  5. Die ganze Welt ist durch die moderne Wissenschaft als ein einheitliches, großes Ganzes erkannt worden, als ein Kosmos, der durch feste Naturgesetze regiert wird. Dieser Kosmos umfasst den unendlichen Weltraum und die darin nach festen Gesetzen sich bewegenden Weltkörper (Sonnensysteme); zugleich aber auch die Organismen, die deren Planeten bewohnen; kurz die Gesamtheit der Natur.
  6. Dagegen erscheint der heutigen Naturerkenntnis ganz unhaltbar die bisherige Unterscheidung von zwei Welten: Einerseits Körperwelt oder Natur (Kant: der Erfahrung zugänglich) andererseits Geisteswelt oder Übernatur (Kant: nur dem Glauben oder der Ahnung zugänglich). Alle Vorstellungen über diese letztere, übernatürliche Welt (das „Jenseits“) beruhen auf Unkenntnis der Wirklichkeit oder auf Unklarheit des Denkens, teilweise auch auf der Macht der mystischen Tradition.
  7. Die Lebewesen, die unsere Erde bewohnen, sind denselben festen Naturgesetzen unterworfen wie die sogenannten toten oder anorganischen Naturkörper. Die Biologie (als die Wissenschaft vom Leben der Organismen) ist nur ein Teil der alles umfassenden Physik (mit Einschluss der Chemie, als „Physik der Atome“).
  8. Die organische und die anorganische Natur sind nicht zwei verschiedene Gebiete. Eine sogenannte „Lebenskraft“, welche die physikalischen und chemischen Prozesse in den Organismen richten und beherrschen soll, existiert ebenso wenig wies eine „kosmische Intelligenz“.
  9. Die ganze Natur unterliegt in kausalem Zusammenhang einem großen, einheitlichen Prozess der Entwicklung. Diese Kosmogenesis besteht aus einer ununterbrochenen Kette von Umbildungen. Das gilt ebenso für die Entwicklung der anorganischen Natur (Kant, Laplace), wie für die Entwicklung der organischen Wesen (Lamarck, Darwin). Ein Teil dieses universalen Entwicklungsprozesses ist unmittelbar unserer Erkenntnis zugänglich; Anfang und Ende sind uns unbekannt.
  10. Die moderne Wissenschaft lehnt jede sogenannte „ Schöpfung“ der Welt ab, ebenso wie die mystische Annahme eines persönlichen Schöpfers, der die Welt aus „Nichts“ erschaffen und seine Schöpfungsgedanken in Form der Organismen verkörpert hat. Ein solcher anthropomorpher Schöpfer existiert ebenso wenig wie eine von ihm geordnete „sittliche Weltordnung“ oder eine sogenannte „göttliche Vorsehung“.
  11. Die Abstammungslehre ist fest begründet durch vergleichende Anatomie, Ontogenie, Paläontologie, Genetik, Populationsbiologie und Zellforschung. Alle heute lebenden Organismen sind die umgebildeten Nachkommen einer langen Reihe von ausgestorbenen Lebewesen, die sich im Laufe langer Zeiträume auf unseren Planeten entwickelt haben. Diese biogenetische Transformation steht fest, gleichviel ob wir ihre Ursachen durch Selektion, durch Mutation oder durch andere Umbildungstheorien erklären.
  12. Lebendige Organismen konnten auf  unserem glutflüssigen Erdball erst dann entstehen, nachdem dessen Rinde erstarrt, und die Temperatur unter den Siedepunkt gesunken war. Dann erst entstanden durch Katalyse von kolloidalen Kohlen-Stickstoff-Verbindungen einfache strukturlose Plasmakugeln. Aus diesen entwickelten sich durch Sondierung des inneren Zellkerns und des äußeren Zellenleibes die ersten Zellen.
  13. Der großartige Prozess der biologischen Transformation ist trotz seiner endlosen Mannigfaltigkeit auf einen gemeinsamen, physiko-chemischen Prozess zurückzuführen: auf die unendliche Umbildung der lebendigen Substanz. Ihre wichtigsten Funktionen sind die Anpassung und die Fortpflanzung.
  14. Die Stammesgeschichte versuch, die hypothetischen Stammbäume der Lebewesen zu ermitteln.
  15. Die vergleichende Anatomie lehrt, dass unser menschlicher Körper alle Charaktere der Wirbeltiere zeigt. Er entsteht und  entwickelt sich wie diese. Alle Lebenstätigkeiten (auch die der Seele) erfolgen nach den Gesetzen der Physik und Chemie. Der Mensch ist in jeder Beziehung ein echtes Wirbeltier und zwar ein Säugetier.
  16. Die direkten Vorfahren des Menschen sind in ausgestorbenen Affen oder in deren Verwandten zu suchen.
  17. Die Seele ist der Inbegriff einer Summe von Gehirnfunktionen. Die Tätigkeit des höheren Seelenorgans oder Denkorgans verläuft beim Menschen nach denselben Gesetzen der „Psychophysik“ wie bei den übrigen Säugetieren.
  18. Gleich allen übrigen Funktionen des Gehirns (Empfinden, Vorstellen, Denken) ist auch das Wollen des Menschen eine physiologische Funktion des nervösen Zentralorgans und durch dessen anatomische Struktur bedingt. Die besonderen persönlichen Eigenschaften des menschlichen Gehirns, welche teils durch Vererbung von den Vorfahren gegeben, teils durch Anpassung im individuellen Leben erworben sind, bedingen mit Notwendigkeit auch seinen Willen. Das alte Dogma der Willensfreiheit erscheint daher unhaltbar.
  19. Wenn man unter dem vieldeutigen Begriff „Gott“ ein persönliches „Höchstes Wesen“ versteht, das als Weltregent nach Art des Menschen denkt, liebt, schafft, regiert, belohnt, straft usw., so muss dieser anthropomorphe Gott in das Gebiet der mystischen Dichtung verwiesen werden – gleichviel ob man diesen „persönlichen Gott“ in Menschengestalt kleidet oder als „unsichtbaren Geist“ betrachtet. Der Gottesbegriff ist nur noch haltbar, wenn man in „Gott“ den unbewussten, hypothetischen „Urgrund der Substanz“ erblickt.
  20. Das Substanzgesetz umschließt das ältere chemische Grundgesetz von der Erhaltung des Stoffes (Lavoisier 1789) und das jüngere physikalische von der Erhaltung der Kraft (Robert Mayer1842). Materie, Energie und Information sind untrennbare Attribute der allumfassenden Substanz. Körper und Psyche gehören untrennbar zusammen.
  21. Die Kultur, welche das Menschengeschlecht hoch über die anderen Tiere erhoben hat, beruht auf dem vernünftigen Zusammenwirken der geselligen Menschen mit weitgehender Arbeitsteilung und gegenseitiger Ergänzung und Unterstützung. Die biologischen Grundlagen der Gesellschaftsbildung sind schon bei den geselligen Tieren vorgebildet; ihre Herden und Staaten werden durch soziale Instinkte (vererbte Gewohnheiten) zusammengehalten.
  22. Die vernunftgemäße Ordnung der Gesellschaft und ihre Regierung durch Gesetze kann in vielen verschiedenen Staatsformen geschehen; die Hauptaufgabe derselben ist die Befestigung einer auf Gerechtigkeit gegründeten weltlichen Macht; die Gesetze, welche die Freiheit der Staatsbürger zugunsten der Gesellschaft beschränken, sollen nur auf vernünftige Anwendung von Naturerkenntnissen sich gründen, nicht auf „ehrwürdige Traditionen“ (erbliche Gewohnheiten).
  23. Mit allen Mitteln ist die Hierarchie zu bekämpfen, welche der weltlichen Macht einen geistlichen Mantel umhängt und die Leichtgläubigkeit der ungebildeten Volksmassen zur Förderung ihrer egoistischen Zwecke ausnutzt. Die Pflege der Konfession (- als einer bestimmten Form des Aberglaubens, die nur Zwietracht zwischen den Andersgläubigen hervorruft -) ist entschieden zu bekämpfen. Die wünschenswerte „Trennung von Staat und Kirche“ ist in der Weise auszuführen, dass der Staat alle Glaubensbekenntnisse als gleichberechtigt freigibt, sich aber die Verhinderung ihrer praktischen Übergriffe vorbehält. Die geistliche Macht muss sich stets der weltlichen Regierung unterwerfen.
  24. In dem unvermeidlichen Kulturkampf gegen den Papismus ist vor allem dahin zu wirken, dass gesetzlich seine drei mächtigsten Stützen aufgehoben werden, Das Zölibat der Priester, die Ohrenbeichte und der Ablasskram. Diese drei gefährlichsten und unsittlichsten Einrichtungen der neukatholischen Kirche sind dem ursprünglichen Christentum fremd. Ebenso ist die Stärkung des gemeingefährlichen Aberglaubens durch Wunderkultus und Reliquienkultus gesetzlich zu verhindern.
  25. Wenn man unter Religion nicht den Kultus des Aberglaubens und der unvernünftigen Konfession versteht, sondern die Erhebung des Gemüts durch die edelsten Gaben der Kunst und Wissenschaft, so gestaltet sich der Monismus zu einem „Bande zwischen Religion und Wissenschaft“.  Die drei Kultusideale der monistischen Vernunftreligion sind die Wahrheit, die Tugend und die Schönheit.
  26. Die naturgemäße Sittenlehre wird durch unsere moderne Entwicklungslehre aus den sozialen Instinkten der höheren Tiere abgeleitet, nicht aus einem dogmatischen „kategorischen Imperativ“ (Kant). Gleich allen höheren sozialen Tieren hat auch der Mensch das naturgemäße Gleichgewicht zwischen zwei verschiedenen Pflichten anzustreben, dem Gebot der Selbstliebe und dem Gebot der Nächstenliebe. Das ethische Grundgesetz oder die „goldene Regel“ hat dieses doppelte Pflichtgebot schon vor über 2500 Jahren in dem Satz ausgedrückt: „Tue jedem anderen, was du willst, dass er dir tun soll“.
  27. Der bisherige konfessionelle oder dogmatische Religionsunterricht ist durch vergleichende Religionsgeschichte und monistische Sittenlehre zu ersetzen; der Einfluss der Priester (jeder Konfession) auf die Schule ist aufzuheben. Der größte Teil des Unterrichts darf nicht dem Studium der klassischen Sprachen und der Völkergeschichte, sondern soll den verschiedenen Zweigen der Naturwissenschaft, vor allem der Anthropologie und der Entwicklungslehre gewidmet werden.
  28. Da die gesunde Entwicklung der Seele (als Funktion der Großhirnrinde) mit derjenigen des übrigen Organismus eng verknüpft ist, muss die monistische Jugenderziehung, frei von den dogmatischen Konfessionslehren der Kirche dahin streben, dass Geist und Körper von frühester Jugend an gleichmäßig ausgebildet werden. Tägliche Gymnastik, Bäder und Turnübungen, Wanderungen und Reisen müssen den Organismus von früher Jugend an frisch entwickeln und kräftigen; der Sinn für Naturbeobachtung und Naturgenuss muss geweckt und geschärft werden. Durch Volksbibliotheken, Fortbildungsschulen und populäre monistische  Vorträge muss auch den reiferen Gebildeten beständig geistige Nahrung zugeführt werden.
  29. Die bewunderungswürdige Höhe der Kultur, welche der Mensch im 19. Jahrhundert erklommen hat, die erstaunlichen Fortschritte der Naturwissenschaft und ihre praktische Anwendung in Technik, Industrie, Medizin usw. gestatten die Hoffnung auf einen mächtigen, weiteren Aufschwung der Kultur. Dieser erwünschte Fortschritt wird aber nur dann möglich sein, wenn die gewohnten Bahnen der traditionellen Dogmen und des klerikalen Aberglaubens verlassen werden, und die vernünftige monistische Naturerkenntnis statt ihrer die Herrschaft gewinnt.
  30. Es ist die Gründung eines einheitlichen Monistenbundes wünschenswert. In dieser „universalen Monistengemeinde“ würden alle Freidenker und alle Anhänger der monistischen Philosophie Aufnahme finden, welche als Richtschnur ihres Denkens und Handelns allein die reine Vernunft anerkennen
  31. nicht aber den Glauben an traditionelle Dogmen und angebliche Offenbarungen.

(6) Weiterentwicklung des Monismus im 20. und 21. Jahrhundert

Mit Ernst Haeckel erreicht der atheistische Monismus in Deutschland um 1900 einen vorläufigen weltanschaulichen und politischen Höhepunkt. Bestärkt werden diese Ideen auch durch das Wirken von August Bebel und Wilhelm Liebknecht (1869 Gründung der Sozialdemokratischen Partei). Die Weltanschauung der damaligen Arbeiterklasse beruhte auf dem monistischen, dialektischen Materialismus von Friedrich Engels (1820-1895) „Antidühring“ (1878) und „Dialektik der Natur“ (1883). Mit dem Ersten Weltkrieg, dem Faschismus, dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg geht das Interesse der Menschen an Philosophie im Überlebenskampf zunächst verloren.

In der DDR wird der sozialistische, dialektische Materialismus zur Staatsraison (Versuch der wissenschaftlichen Begründung der Theorien von Friedrich Engels). Die dialektischen Merkmale der Natur und im Menschenleben werden herausgearbeitet (Menschliches Bewusstsein entsteht aus dem Sein der Natur und das gesellschaftliche Bewusstsein aus dem gesellschaftlichen Sein; dialektische Sprünge in Gesellschaft und Natur werden aus Widersprüchen erklärt, daraus entwickeln sich sprunghaft neue Qualitäten, Evolution schlägt teilweise um in Revolution.

In der BRD restaurieren sich alte kapitalistische und klerikale Eliten. Grundlage dafür sind dualistische Denkmodelle, die sich streng von den atheistisch-monistischen in der DDR abgrenzen. Mit der deutschen Einheit brechen diese Gegensätze erneut auf, indem die Kirchen Boden im Osten zurückgewinnen wollen. Diese Bemühungen sind bis jetzt nicht sehr erfolgreich; im Gegenteil verlieren die mit dem Staat verquickten Religionsgemeinschaften auch im Westen viele Gläubige. Auf dem Umweg über konfessionellen Unterricht in Schulen, Kindergärten und vieles mehr versuchen sie dennoch, gestützt auf erhebliche finanzielle Mittel des Staates, ihre irrationalen Vorstellungen durchzusetzen.

Dagegen reichern Naturwissenschaftler speziell aus Deutschland, Österreich, England, Chile und USA und anderer Herkunft inzwischen die klassischen, monistischen Weltbilder der 17., 18. Und 19. Jahrhunderte mit neuen Erkenntnissen an und beleben naturalistische Weltdeutungen. So sind unter anderen einige Autoren zu nennen, welche überzeugend durch holistische, ganzheitliche Ansätze, Hereinnahme informationeller Gesetze und Erkenntnisse der Genetik, Selbstorganisation, Evolution und Soziologie monistische Weltbilder klarer herausarbeiten bzw. dualistische Modelle entkräften.

Gerhard Szczesny

Als einer der ersten im Nachkriegsdeutschland beschäftigte sich  Gerhard Szczesny (1918-2002) mit Fragen des materialistischen Monismus in „Die Zukunft des Unglaubens“ (1958)9.  Ihm folgten Karl-Heinz Deschner (*1924) mit „Und abermals krähte der Hahn“ (1962),  Bertrand Russel (1872-1970) mit dem Vortrag „Warum ich kein Christ bin“ (1963),  Joachim Kahl, mit „Das Elend des Christentums“ (1968),  Konrad Lorenz (1903-1989) mit „Die Rückseite des Spiegels“ (1973)  und, besonders beeindruckend, der Physiker Erwin Schrödinger (1878-1961)10 mit seinem Buch „Mein Leben, meine Weltsicht“ (1985),  Gerhard Vollmer (*1943) mit „Was können wir wissen“ (1985) und Humberto R. Maturana (*1928)/Franzisko J.Varela (1946) in „Der Baum der Erkenntnis“ (1987).

Um die Jahrtausendwende uferten Veröffentlichungen zu einem materialistisch-monistischen Weltbild förmlich aus:  2000 Helmut Metzner (1925-1999) mit „Vom Chaos zum Bios“,  2001 Bernhard Irrgang (*1953) mit „Lehrbuch der Evolutionären Erkenntnistheorie“,  2003 Gerhard Roth (*1942) mit „Aus Sicht des Gehirns“,  2003 Ferdinand Cap (*1924) mit „Ein Ende der Religionen“, 2004 Wolf Singer (*1943) mit „Keiner kann anders als er ist“,  2004 Franz Buggle (1933-2011) mit „Denn sie wissen nicht was sie glauben“,  2004 Rupert Riedel (*1925) mit „Meine Sicht der Welt“, 2006 Michael Schmidt-Salomon (*1967) mit „Manifest des evolutionären Humanismus“,  2006 Paul Schulz (*1937) mit „Codex Atheos“,  2006 Richard Dawkins (*1941) mit „Der Gotteswahn“,  2007 Winfried Krakau (*1929) mit „Vernunft contra Glaube“11,  2007 Franz M. Wuketits (*1955) mit „Der freie Wille“,  2007 Sam Harris (*1967) mit „Das Ende des Glaubens“,  2007 Bernulf Kannitscheider (*1939) mit „Die Materie und ihr Schatten“,  2007 Joachim Kahl (*1941) mit „Weltlicher Humanismus“,  2008  Henning Genz (1938-2006) mit „War es ein Gott?“,  2008 Gerhard Roth und Michael Pauen (1956) mit „Freiheit, Schuld und Verantwortung“12,  2009 Thomas Metzinger (*1958) mit „Der Ego Tunnel“,  2011 Heinz W. Kubitza mit „Der Jesuswahn“,  2011 Uwe Lehnert (*1935) mit „Warum ich kein Christ sein will“ und viele mehr. Das alles zeigt, dass heute weitgehend Konsens darüber besteht, dass der weltanschauliche, materialistische Monismus zum Atheismus führt.

Alle Genannten, Physiker, Philosophen, Biologen, Neurologen, Theologen, Ingenieure usw. sind nur ein Teil der vielen Menschen, welche daran arbeiten die einheitliche Weltsicht des Monismus weiter zu begründen. Ernst Haeckel kann für sich in Anspruch nehmen, ein schon zu seiner Zeit plausibles materialistisch-monistisches Weltbild konzipiert zu haben, welches nunmehr vielfach seiner wissenschaftlichen Bestätigung zugeführt wird. Die Kant`sche Frage, „Was ist der Mensch“ kann in großen Zügen heute naturwissenschaftlich beantwortet werden. Erwin Schrödinger ragt bei der Antwort auf diese Frage auch sprachlich überzeugend hinaus:

„Die Vorstellung einer den Körper als Haus bewohnenden und beim Tode aus ihm ausziehenden, auch außer ihm existenzfähigen Seele ist eine gar zu naiv-kindliche Konstruktion. Jedenfalls ist die Welt nur ein Teilkomplex des Ich, der Eigenleib nur ein Teilkomplex des Weltkomplexes… Kein Ich steht allein. Hinter ihm liegt eine unermessliche Kette von physischem und – als eine spezielle Art davon – intellektuellem Geschehen, der es als gegenwirkendes Glied angehört und die es fortsetzt. Durch den augenblicklichen Stand seines somatischen und insbesondere seines Zerebralsystems und durch Erziehung und Überlieferung in Wort, Schrift, Denkmal, Sitte, Lebensform, umgeschaffener Umgebung… ist das Ich nicht sowohl verkettet mit dem Ahnengeschehen, nicht sowohl sein, ausschließlich sein Erzeugnis, als vielmehr im strengsten Sinne des Wortes mit ihm dasselbe, seine streng unmittelbare Fortsetzung.“

„Unser Gehirn ist das Organ, mit dem wir uns wechselnden Umweltbedingungen anpassen, es ist die Stelle unseres Soma, wo wir in artlicher Weiterentwicklung begriffen sind, es ist – bildlich gesprochen – die Vegetationsspitze unseres Stammes… Bewusstsein ist mit dem Lernen der organischen Substanz verbunden; das organische Können ist unbewusst… An uns vollzieht sich an jedem Tag unseres Lebens ein Stück der noch im vollen Gang befindlichen Evolution unserer Art… Bewusstsein ist ein Phänomen der Evolutionszone. Diese Welt erscheint sich selbst nur dort, wo und nur insofern als sie sich entwickelt, neue Formen gebiert.“

„Die egoistische Einstellung ist für das einzellebende Tier eine arterhaltende Tugend, wird dagegen artschädlich für das in Gemeinschaft mit anderen lebende… Wir stehen am Beginn einer biologischen Umbildung von egoistischer zu altruistischer Einstellung… nur ein winziger Bruchteil dessen, was irgendeiner von uns sein Weltbild nennen mag, stammt aus seiner eigenen Sinneserfahrung, der weitaus größere Teil aus Mitteilungen fremder Sinneserfahrungen (wobei ein Löwenanteil nicht auf die lebendige, sondern auf die in Schrift und Druck konservierte sprachliche Mitteilung entfällt).“

„In den sogenannten exakten Wissenschaften herrscht meistens der Gedanke vor, dass ein vollendetes Nachschaffen der Natur in Denkbildern nie gelingen kann.“

Mit diesen wenigen Auszügen aus seiner Schrift beschreibt Schrödinger in markanter Weise, was materialistischer Monismus ist, nämlich die Einheit allen Seins einschließlich des Menschen. Gleichzeitig fordert er die gesellschaftliche Konsequenz dieser Einsichten. Hier trifft er sich mit den Erkenntnissen, die Ernst Haeckel vor über 100 Jahren bereits formulierte. Es ist erstaunlich, dass trotz des gegenwärtigen  überwältigenden Wissens um die monistische Weltanschauung immer noch viele Menschen, insbesondere Politiker, dualistischen Vorstellungen anhängen. Kirchliche Indoktrination im Kindesalter ist neben der sogenannten „Schwarmdummheit“ die Ursache (Michael Schmidt-Salomon). Deshalb werden auch erforderliche Reformen in der Erziehung und Bildung, in der Justiz und nicht zuletzt in der Trennung von Kirche, Religion und Staat verschleppt. Ein humanistisches Menschenbild, wie es Schrödinger zeichnet, muss Grundlage der heutigen „Menschenbildung“ werden. Natürliche Vorgänge im Leben eines Menschen sind dabei zu beachten.

(7) Monistische informationelle Determination eines Menschen

Winfried Krakau beschreibt in „Ernst Haeckel“ (2011) einen „normalen“ menschlichen Lebenslauf aus monistischer Sicht wie folgt:

„Im Wesentlichen können wir mehrere aufeinanderfolgende informationelle Determinantengefüge  aus dem Umfeld eines Individuums unterscheiden. Sie wirken

1. stammesgeschichtlich bis zur Empfängnis (Vorleben),
2.
von da bis zur Geburt (Leben im Körper der Mutter)
3. danach bis auf den 2jährigen  Säugling
(Leben des Säuglings),
4.
fortwirkend bis 6 Jahre auf das Kleinkind (Leben in der Familie),
5. bis darauf folgend etwa
18 Jahre in Pubertät und geistiger Reife (Reifendes Leben), und
6. abschließend bis zum
Lebensende (Erwachsenenleben).

Vorleben: Das menschliche Leben als Einheit von Körper und Psyche beginnt zum Zeitpunkt der Verschmelzung von Samen- und Eizelle. Dabei müssen wir uns bewusst machen, dass die entstehende Zelle genetische Informationen enthält, die einmalig sind, und die aus denen der Eltern durch Zufall kombiniert wurden. Doch auch diese sind nicht durch einen Gott bestimmt, sondern enthalten Informationen aus der Milliarden Jahre langen Evolution des Lebens auf der Erde. Alle durch das Leben gefundenen Überlebensstrategien sind hier zusammengefasst. Leider ist nicht immer dadurch für das neue Lebewesen ein optimaler Start ins Leben garantiert. Die zufällige Kombination und eventuelle Krankheiten sowie unverantwortliches Leben der Eltern oder schlicht das Schicksal der Familie verhindern das. So ist der neue Mensch nur ein erneuter zufälliger Versuch des Lebens, ein überlebensfähiges Individuum zu erzeugen. Das aber heißt, bereits im Start beginnt die grundsätzliche Determination des Individuums und sind Erfolg oder Misserfolg im großen Rahmen vorgezeichnet. Die spezielle Entwicklungsrichtung des Individuums wird hernach im eigentlichen, selbständigen Leben korrigiert.

Leben im Körper der Mutter: Die zweite Phase der Entwicklung setzt sich fort im Entstehen des Körpers durch Teilung der Stammzelle und Differenzierung in verschiedene Zellarten, Körperteile, Organe usw. Auch hier wird durch Fehlkopien und Besonderheiten der Entwicklung bestimmt, was für ein Mensch dabei entsteht. Die Art der Ernährung der Mutter und des Kindes durch die  Mutter spielen eine entscheidende Rolle. Der Gesundheitszustand kann außerdem enorm unterschiedlich sein. Die Lebensumstände der Familie oder der alleinerziehenden Mutter (Wohnung, gesellschaftlicher Stand usw.) sind bedeutend. Das herrschende Klima, widriges Wetter, soziale Umstände usw. wirken auf den im Mutterleib entstehenden Organismus ein. Frieden oder Krieg, die den Eltern Schwierigkeiten machen, sind nicht unwichtig. Drogenmissbrauch oder entwicklungsförderndes Verhalten wirken unterschiedlich. Zusammengefasst werden durch den Körper der Mutter hindurch alle relevanten Außenbedingungen auf die körperliche und psychische Konfiguration des Kindes wirksam. Somit hat die Mutter eine hohe Verantwortung für die Entwicklung des Kindes. Sie vertritt die innerste Außenwelt des Kindes.

Leben des Säuglings: Nach der Geburt wirken die natürliche Außenwelt und besonders die Gesellschaft unmittelbar auf das Kind. In den ersten zwei Säuglingsjahren wird der kindliche Organismus in einen vielfältigen Komplex einwirkender Faktoren versetzt. Schon in der Geburtsphase kann sich entscheiden, ob z.B. das Gehirn oder andere Körperteile geschädigt werden. Die bestimmenden Determinanten potenzieren sich. Der Gesundheitszustand der Mutter, das Stillen, ihre Sprachkompetenz, die Familiensituation usw. sind entscheidend. Die Klimazone wirkt unterschiedlich, der Staat beeinflusst  durch Krippenerziehung, die gesprochene Sprache wirkt, das familiäre Umfeld prägt nicht nur körperlich, sondern zunehmend auch geistig, indem das stammesgeschichtlich konstruierte Gehirn nun zusätzlich von individuellen Erfahrungen konditioniert wird. Nervenbahnen werden evolutionär entsprechend ihrer Nutzung verstärkt oder bilden sich zurück, das Gehirn organisiert sich an den Einflüssen, die auf es wirken. Das Nahrungsangebot nach Art und Menge begünstigt oder behindert die Entwicklung. Familiäre Rituale schleifen sich ein. Musik, religiöse Bräuche, geistiges Klima, Familienalltag wirken usw. Erste Ansätze von Bewusstsein entstehen, obwohl in dieser Phase eine vorwiegend unbewusste Struktur durch sinnlichen Einfluss gelegt wird.

Leben in der Familie: Die Kleinkindphase bis ca. 6 Jahre befördert all die Determinanten des Säuglingsalters nochmals, wobei besonders die sprachliche Entwicklung vom „Sprachraum“ der engeren und weiteren Familie abhängt. Es entstehen erste kulturelle Erinnerungsspuren (Meme, die sich später zu Komplexen, sogenannten Memplexen vereinen). Hinzu kommen Einflüsse von weiter außen, wie z.B. der Kinderkrippe und dem Kindergarten, den entsprechenden Erziehern, der konfessionellen Struktur der Einrichtungen, elitären Erziehungsangeboten, Mehrsprachigkeit, Reisen usw. Bis zu dieser Phase nimmt das Kind noch nicht sehr stark aktiv am sozialen Leben teil. Das Ich-Bewusstsein entwickelt sich in diesem Alter gerade erst und überwölbt die vorherige vorwiegend passive Aufnahme aller Einflüsse. Bis hierher wirkte, wie leicht einsehbar ist, bereits ein ganzes Determinationsgefüge (Matrix), dem man auch später kaum noch entkommen kann. Das bestätigt die Annahme, dass gehirnphysiologische Prägungen für das weitere Leben des Kindes von großer Wichtigkeit sind. Im Übrigen ist das eine Aufgabe für die Pädagogik des jeweiligen Landes, die den Eltern nicht allein die Erziehung überlassen darf. Alle Kinder müssen gleiche Startchancen ins Leben erhalten. Viele Eltern sind dazu nicht in der Lage. Reiche Eltern sind daher verpflichtet, sich nicht nur um ihre Kinder zu kümmern, sondern solidarisch auch unterprivilegierte Kinder zu unterstützen. Dazu gehört auch die gemeinsame Erziehung in staatlichen Einrichtungen, die es ermöglicht, soziales Verhalten einzuüben.

Reifendes Leben: Die Jugendphase bis etwa 18 Jahre ist ganz entscheidend für das weitere Erwachsenenleben. Oft prägen sich in dieser Zeit Ideen, Gedanken und Vorlieben bis ins hohe Alter ein. Hierbei wird Sprache in Begriffen und Memplexen manifest. Die Begegnung mit Ausbildung in verschiedenen Gewerken, mit Schulen und Universitäten, mit Büchern, mit Musik und Kunst vielfacher Art, unterstützt durch beeindruckende vorbildliche Menschen, macht empfindlich für geistige Freuden. Aber auch Geistlosigkeit und Stumpfheit können durch Umgang in einem entsprechenden Umfeld übertragen werden. Interessen und Wortschatz sind von dieser Zeit stark abhängig. Begeisterung für Sport wird angelegt, die Art der Beziehung zu anderen Menschen, insbesondere zum anderen Geschlecht, verfestigt sich. All das führt zu einer Umorganisation der Gehirnstruktur, die dann wiederum das weitere Leben beeinflusst.

Erwachsenenleben: Der ausgereifte Körper und insbesondere das Gehirn des Erwachsenen halten nun ein ganzes Arsenal von Reaktionsvarianten bereit, die jederzeit wirksam werden, wenn das Individuum sich so oder so entscheiden und handeln muss. Natürlich hat jedes Individuum in seinem Umfeld eine ganze Reihe von Determinanten, die es fortwährend weiter beeinflussen. Freunde, Ehepartner, Kinder, Studienkollegen, Arbeitskollegen, Schulfreunde, Lehrer, Professoren usw. Sie alle wirken mit entsprechender Rückkoppelung auf den Erwachsenen. Das Arbeitsleben bereichert unaufhörlich über den Gegenstand der Arbeit und über die Mitarbeiter im Beruf. Wir alle kennen z.B. den Zustand gravierender Veränderung in unserem Leben, wenn uns eine besonders beeindruckende Person, ein Buch, ein Vorfall, eine Krankheit, ein Erlebnis begegnet oder ein neuer Gedanke kommt. Das Gehirn reagiert auf einen solchen Fall mit einer oft schmerzhaften Umprogrammierung unserer Verhaltensentscheidungen. Das sind Zeiten in unserem Leben, die einen Wendepunkt darstellen, ohne dass wir immer dessen gewahr werden. Manchmal erfassen wir das, was mit uns geschieht, erst viel später in seiner Tragweite.

Zusammenfassung: So sind wir das ganze Leben lang einem riesigen Bündel sich laufend differentiell verändernder Faktoren (Determinanten) ausgesetzt. Unser Gehirn lernt dabei ununterbrochen neue Strategien, was wir meistens nicht einmal bemerken. All diese ungeheuren Mengen von Determinanten erzeugen Spuren im Gehirn (eingeprägt in Neuronen und Synapsen) und im Gesamtsystem Körper. Sie bilden einen unvorstellbar großen Informationspool (unbewusstes und bewusstes Gedächtnis im Nervensystem). Durch Informationsübertrag und -anhäufung im chemisch-physikalischen Geschehen des Körpers verändern sich damit unsere Potenziale. Aus diesem Pool entnimmt und sortiert das Gehirn bei allen Handlungen die aktuellen Optimierungsvarianten und leitet Resultierende ein. Auf diese Weise werden diejenigen Handlungsvarianten durchgespielt, die letztlich dem Überleben des Individuums zuträglich sind, zumindest aber ihm einen Lustgewinn versprechen. Es scheint so, als ob während dieser Entscheidungsvorgänge bestimmte Kippschwellen auftreten (Schmetterlingsflügeleffekte), bei denen die Illusion eines bewussten, selbstverursachten, freien Willens (einer freien Entscheidung) auftritt. Nicht alle im Laufe eines Lebens gesammelten Erfahrungen treten dabei in Aktion. Das Gehirn generalisiert und wählt je nach Situation aus und gewichtet seine Entscheidungen zugunsten des Gesamtsystems Mensch und seines gegenwärtigen Wohlbefindens. Für manche Einflüsse baut das Gehirn auch Grenzwerte auf, unterhalb deren es nicht reagiert. Es kann wohl niemand sicher sein, dass er nicht letztlich diesen Unsummen von Determinanten unterliegt. Trotzdem fühlt er sich in seinem Selbstbewusstsein frei, vor allem aber muss er sich als gesellschaftliches Wesen für alles das verantwortlich fühlen, was er handelnd verursacht“.

(8) Monistisches Gesamtbild von Welt und Mensch

Der Kosmos ist von Materie und Energie erfüllt. Beide sind verschiedene Erfassungsweisen des Einen und sind durch das Gesetz „Energie gleich Materie mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat“ (Relativitätstheorie Einsteins) unlösbar miteinander verbunden. Die ursprüngliche Energie während bzw. nach dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren ist im Laufe der Evolution teilweise in sichtbare, uns zugängliche Materie umgesetzt worden. Desgleichen kann Materie in Energie rückverwandelt werden (Kernenergie, schwarze Löcher). Parallel zur sichtbaren Materie und nutzbaren Energie entstanden auch die sogenannte dunkle Energie und dunkle Materie, die über 80 Prozent der Gesamtsubstanz des Kosmos ausmachen. Die dunkle Materie strukturiert das Weltall, während es die dunkle Energie beschleunigend auseinandertreibt. Naturwissenschaft geht dennoch davon aus, dass es sich dabei um integrale Bestandteile der „Einen Welt“ handelt, die einem einheitlichen, noch nicht vollständig definierten Weltgesetz unterworfen sind. Desgleichen gibt es im Bereich des Subatomaren Gesetze, die bisher noch nicht mit der Relativitätstheorie Einsteins kompatibel sind. Die im Kleinsten wirkenden statistischen Gesetze der Quantentheorie Max Plancks, sind dennoch mit hoher Präzision darstellbar. Die Quantentheorie geht davon aus, dass bei subatomaren Vorgängen diskrete Energiepakete ausgetauscht werden und es sich nicht um kontinuierliche Energieströme handelt.

Die Gesamtsubstanz des Kosmos ist dem Menschen, als integralem Bestandteil, sowohl sinnlich als auch, wegen seiner beschränkten Wahrnehmung, in manchen Teilen nur instrumentell zugänglich. Der Beweis ist durch gelungene Manipulation dieser Substanz mittels technischer Prozesse während der letzten Jahrtausende erbracht. Was funktioniert kann nicht ganz falsch sein. Vollständige Erkenntnis ist wegen der Komplexität des Ganzen und seiner zumindest nahezu unendlichen Ausdehnung allerdings nicht möglich. Die in der Technik übliche und nützliche Trennung in Materie und Energie ist philosophisch nicht erforderlich. Stattdessen ist es wahrscheinlich, dass letztlich auch die Materie auf Energie zurückgeführt werden kann, ja dass es eigentlich nur Wirkendes gibt. Die von Hans Peter Dürr so genannten „Wirks“13. Das gilt sowohl für Anorganisches als auch Organisches und schließt soziale Prozesse ein.

Als Schlussfolgerung ergibt es sich, dass im Weltprozess Kausalität und damit Determination angenommen werden muss. Ein vorherbestimmbarer Ablauf ist trotzdem nicht vorhanden, da wegen des allgemeinen Zusammenhangs aller unterscheidbaren materiellen bzw. energetischen Gebilde (einschließlich des Menschen) keine einfache lineare Ursache-Wirkung existiert. Rückkoppelnde Prozesse lenken die Evolution ständig in neue, suchende, nichtvorhersehbare Richtungen ab (Drift)14. Theilhardt de Chardin spricht von einer „Strömung, oder ertasteten Erfindung eines neuen vorteilhaften Typus“. Durchstreift man gedanklich alle Ebenen des Seins einschließlich der Lebensprozesse, so findet man ineinander verschachtelte Hierarchien. Rupert Riedel zählt bis zu 16 auf, von den Quanten, den Atomen und den Molekülen, über Zellen, Gewebe und Organe zu Individuen und Sozietäten. Überall herrscht das allgemeine Weltgesetz in je unterschiedlicher Form. Die feststellbaren Teilgesetze schließen jeweils die vorausgehenden ein und sind trotzdem eigenständig (Emergenz).

Die Substanz (das Sein, das Wirkende) ist durch die Ungleichförmigkeit ihrer Teile und deren kausalem Zusammenhang in ständiger Bewegung. Alle materiellen und energetischen Erscheinungen sind in sich strukturiert, besitzen eine Form und sind daher informationell gekennzeichnet. Durch diese Kennungen interagieren alle Systeme miteinander und setzen so durch Selbstorganisation ununterbrochene Ketten von Umbildungen (Evolution) in Bewegung. Evolution ist nicht zielführend sondern zielsuchend.

Nach menschlichen Maßstäben ist das gesamte Universum in Raum und Zeit unendlich. Jener Teil, in dem wir wohnen, ist dagegen in Raum und Zeit endlich, wie wir selbst. Dieser Teilbereich existiert seit 13,7 Milliarden Jahren und wird einst vergehen und von einer umfassenderen unendlichen Substanz aufgenommen werden.

Auch die Lebenswelt ist Gesetzen unterworfen. Durch ihre hochkomplexe Organisation entstehen neue, sogenannte emergente15 Strukturen und Seinsweisen wie Selbsterhaltung und Fortpflanzung. Diese bewirken, dass sich lebende Systeme auf begrenzte Zeit durch Aufnahme von Energie und Information aus ihrer Umwelt in einer Balance halten können. Diese Balance steuert nach Ernst Haeckel ein „empfindender“ materieller Komplex innerhalb der Lebewesen, das Nervensystem. Bei hochkomplexen Lebewesen übernimmt diese Aufgabe das in den Körper eingebettete Gehirn.

Zusätzlich zu seiner genetischen Bestimmtheit wird der Mensch durch Vergesellschaftung und Sprache geprägt. So entsteht ein gemeinschaftliches, in Schrift niedergelegtes Gedächtnis, auf dem jedes Individuum jederzeit aufbauen kann. Der einzelne Mensch ist daher Geschöpf einer Vielzahl von bestimmenden Faktoren (Determinanten) genetischer und kultureller Art. Diese sind in seiner Körperbeschaffenheit und dem Informationsgehalt seines Gehirns begründet. Ihnen folgt er in den überwiegenden Fällen unbewusst („organisches Können“: Erwin Schrödinger). Meistens wird er sich nur solcher Handlungen bewusst, welche mit gänzlich neuen Situationen verbunden sind, nämlich, wenn die Balance des Körpers und seiner Psyche nicht mittels „Können“ aufrecht erhalten werden kann, sondern wenn Neues gelernt werden muss („organisches Lernen“: Erwin Schrödinger). Diese „Differenz“ zum „Können“ fordert gewissermaßen das Individuum auf, neue Determinanten zu suchen und zu erproben. Diese neuen Einflussgrößen kommen aus der umgebenden Natur, aus dem Innenleben oder, noch wichtiger, von anderen Menschen. Die lebensnotwendige Balance des Menschen als Individuum und Gesellschaftswesen zwingen ihn zur Anpassung an die vorgegebenen Bedingungen bzw. zur Suche nach einer Veränderung seines Verhaltens.

Der Wille, das Denken und Fühlen sind nicht frei, sondern folgen der informationellen Struktur des Körpers und insbesondere des Gehirns. Alle Menschen sind daher gleichberechtigt und aufeinander angewiesen. Die Ethik des Zusammenlebens folgt biologischen Notwendigkeiten und muss demokratisch erarbeitet werden. Insofern ist das Individuum auch gesellschaftlich nicht frei, sondern hat sich den gemeinsam erarbeiteten Regeln zu unterwerfen.

Außerhalb der einzigen allumfassenden Wirklichkeit (das Wirkende) gibt es keine zweite Welt. Metaphysik ist sinnlos. Gott ist nur die Vorstellung unwissender Menschen. Die Erkenntnis seiner Natur führt den Menschen weg von religiösen Geboten hin zur Humanität

im Sinne der alten, alles Leben einschließenden indischen Weisheit:
Tat tvam asi !
(das bist auch du)
oder auch nach der Definition Albert Schweitzers:
Leben ist Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will;

bzw. nach der goldenen Regel:
Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst!

(9) Holismus als Ergänzung zum Monismus.

Eine besonders hervorzuhebende Entwicklung des Monismus ist der vorn bereits erwähnte Holismus. Ansätze dazu finden wir schon bei Ernst Haeckel. Hat er doch mit seinen Ausführungen zur Ökologie einen wichtigen Beitrag geleistet, um die Ganzheit eines biologischen Systems und seinen Einfluss auf die Teile herauszuarbeiten: „Unter Oekologie verstehen wir die gesamte Beziehung des Organismus zur umgebenden Außenwelt“, sagt er. Vom Ganzen her zu denken hat inzwischen zu einem  neuen Paradigma der Wissenschaft geführt. Klaus Michael Meyer-Abich formuliert 1948 „Die Wirklichkeit als Ganzes ist ein gewaltiges universales Lebewesen“. So erweitert er den biologischen Begriff auf alle Vorgänge der Wirklichkeit. Erwin Laszlo betont 2002 „dass das Universum ein kohärentes, fein abgestimmtes, miteinander verbundenes Ganzes ist“. Im ATHEODOC-Diskurs 01.05 wird von Paul Schulz der Holismus speziell unter dem Gesichtspunkt der kosmischen Einheitstheorie von Stephen Hawking weitergeführt.


Zusammenfassung in drei Thesen:

These 1: Der Monismus beschreibt die Wirklichkeit als ein einheitliches, in sich geschlossenes System der Natur und des Gesamtkosmos. Mit Beginn der europäischen Aufklärung vor 300 Jahren und der damit erfolgenden Durchsetzung des naturwissenschaftlichen Denkens hat sich diese Einheit immer zwingender zu einem materialistischen Weltbild verdichtet. Wie schon in der Naturphilosophie der griechischen Antike wird dabei die Materie als die Grundlage allen Seins definiert.

Der für die Menschen zugängliche Kosmos ist ein endliches System aus Materie und Energie. Dieses System ist in Teilen strukturiert und damit informationell geprägt. Infolge dieser Prägung evolviert das System. Der Mensch ist dabei ein integrales Untersystem des Kosmos. Sein Körper und sein Geist entstanden im Zuge der Evolution. Seine Entwicklung ist abhängig von biologischen und gesellschaftlichen Determinanten.

These 2: Als erster exponierter Vertreter des Monismus hat Ernst Haeckel zum Ausgang des 19. Jahrhunderts zu gelten. Sein Monismus (1899) wurde allerdings durch Max Plancks Quantentheorie (1905) und Albert Einsteins Relativitätstheorie (1905) stark relativiert. Haeckels Thesen waren noch sehr stark in der mechanistischen Physik des 19. Jahrhunderts verankert. Doch in jüngster Vergangenheit ist der Monismus wieder stark im Vormarsch, gestärkt auch vor allem durch den Holismus, der mit Stephen Hawking die Einheit auch des quantenphysikalischen Weltbildes postuliert. Physiker, Biologen, Neurologen, Mediziner, Ingenieure, gar Philosophen und Theologen, sind nur ein Teil der vielen Menschen, die heute daran arbeiten, die einheitliche Weltsicht des Monismus weiter zu begründen.

Die Vielzahl der Forschungsrichtungen macht deutlich: Jedes System, ob kosmisch, ob irdisch, ob biologisch, soziologisch oder individuell ist im monistisch-holistischen Zusammenhang zu untersuchen. Jedes Teilsystem ist nur von der Ganzheit des umgreifenden Systems her zu verstehen: Der Mensch vom Psychosomatisch-Sozialen her, die Gesellschaftssysteme von der biologisch-politisch-wirtschaftlichen Grundlage her, das Leben auf der Erde von der Entwicklung der Erde und die Erde von ihrer kosmischen Entstehung her.

These 3: Monismus zielt auf Atheismus. Ein in sich geschlossenes Weltbild schließt eine Transzendenz als eigenständige Wirklichkeit aus. Sie erklärt alle religiösen Vorstellungen als Produkte der innerweltlichen Gedankenwelt. Nicht nur alle Götter, auch den monotheistischen Gott. Alle Religion und alle Theologie sind Anthropologie.

Eine eigenständige Wirklichkeit Gott außerhalb der monistisch-holistischen Welt gibt es also nicht. Der Atheismus ist deshalb die logisch-konsequente Schlussführung des Monismus-Holismus.

Generelle Schlussfolgerung

In Gegensatz zum Monismus: Der Dualismus. Er spaltet die Wirklichkeit in zwei gegensätzliche Ebenen, in das Diesseits und das Jenseits, in Erde und Himmel, in Mensch und Gott, in Denken und Glauben, in Vergehen und ewiges Leben. Körper und Seele sind trennbar und gehören verschiedenen Welten an. Es gibt die Auferstehung von den Toten in ein Jenseits. Die Auffassungen des Dualismus sind nicht rational beweisbar, sondern irrational. Trotzdem wirken sie in unserem aufgeklärten, säkularen Staat an zentraler Stelle: Der Dualismus setzt auch heute noch einen Gott, der von außerhalb der Welt ein Gottesrecht einfordert, das über Demokratie und Politik und über individueller Autonomie und Leben steht und bestimmt.

Der Dualismus ist gescheitert. Der Dualismus ist nicht imstande den Menschen als integralen Bestandteil der Natur und Gesellschaft zu begreifen. Die sich auf ihn berufen unterschätzen die biologischen und sozialen Determinanten der Natur und überschätzen die objektive Gültigkeit individueller Behauptungen der Menschen. Deshalb grenzen sie dogmatisch aus und spalten die Gesellschaft konfessionell. Sie bekämpfen die monistische Weltsicht und bestreiten die Einordnung des Menschen in den Naturzusammenhang. Sie diffamieren, was wissenschaftlich begründbar ist. Sie sind in der modernen Welt konfessionelle Außenseiter und generell nicht gesellschaftsfähig.

Der Monismus. Er erkennt die Einheit von Körper und Geist und den Geist als der Materie aufgeprägte Information. Er integriert den Menschen unauflöslich in Gesellschaft und Natur und anerkennt die biologische und soziale Begründung von Moral: Der Mensch ist mit Körper und Geist ein integraler Teil der Natur und der Gesellschaft.

Die wichtigste Aufgabe aus den monistisch-holistischen Erkenntnissen besteht darin, durch Aufklärung im Kant`schen Sinne dem mündigen Bürger durch konsequente naturwissenschaftliche Bildung den Weg zu bereiten; ihn in jungen Jahren von allen naturwissenschaftlich nicht begründbaren Ideologien fern zu halten, damit er als reifer Erwachsener in der Lage ist, sich selbst einen Lebenssinn zu geben und mit anderen Menschen eine durchdachte Gemeinschaft zu bilden. Junge Menschen gerade auch in Vorschule und  Schule durch religiösen Unterricht mit völlig überholten Welt- und Gesellschaftsvorstellungen zu indoktriniert, kann man nur als wissentliche Verdummung, ja „Körperverletzung“ bezeichnen und bekämpfen. Daher sind religiös begründete Aussagen und Gebote, ungleiche Erziehung und Bildung  genauso abzulehnen wie egozentrische Lebensweisen und Wirtschaftssysteme und sozial ungerechte Verteilung des Volksvermögens und Privilegien. Die Aufklärung ist noch lange nicht am Ziel.

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Autor: Winfried Krakau

  1. Krakau, Winfried, Ernst Haeckel, Aachen 2011.
  2. Winfried Krakau auf der Basis seiner Monografie zu Ernst Haeckel
  3. Wolff, Christian von, Einleitende Abhandlung über Philosophie im Allgemeinen, Stuttgart 2006
  4. Andere Monismen sind als metaphysische Einheitslehren zwar denkbar, aber nicht beweisbar und können daher hier vernachlässigt werden. Siehe Christian von Wolff, op.cit.
  5. Büchner, Ludwig, Kraft und Stoff, Leipzig 1804.
  6. Krakau, Winfried, Ernst Haeckel, Aachen 2011.
  7. Winfried Krakau, Ernst Haeckel, S.75-82.
  8. Winfried Krakau auf der Basis seiner Monografie zu Ernst Haeckel
  9. Szczesny, Gerhard, Die Zukunft des Unglaubens, München 1965.
  10. Schrödinger, Erwin, Mein Leben, meine Weltansicht, München 2008.
  11. Krakau, Winfried, Vernunft contra Glaube, Neckenmarkt 2007.
  12. Pauen, Michael / Roth Gerhard, Freiheit, Schuld und Verantwortung, Frankfurt/Main2008.
  13. Dürr, Hans-Peter: Geist, Kosmos und Physik, Amerang 2010
  14. „Drift“ – Allmähliche, unmerkliche Veränderung der Evolutionsrichtung durch das Zusammenspiel unkontrollierbarer Einzelerscheinungen.
  15. „Emergenz“ – Spontane Herausbildung neuer Eigenschaften, die sich nicht aus Teilen ableiten lassen (z.B. Gase H und O ergeben Wasser H2O).