Diskurs 13.01/3
2. Runde · Eröffnung
Dr. Paul Schulz
“Der Entscheidungswille gründet im ICH-Bewusstsein des Menschen”
1. ATHEODOC Erkenntnis-Duell
Hat der Mensch einen freien Willen?
2. Runde 05. November 2012: Eröffnung
Inhalt
1. Teil: Rückfragen an Dr. Schmidt-Salomon
Dr. Schmidt-Salomon gibt in seinem ersten Beitrag zum ATHEODOC-ERKENNTNIS-DUELL ein nur kurzes Gastspiel. Seiner Meinung nach ist seine Position zum freien Willen des Menschen allgemein so bekannt, dass es einer weiteren Darstellung seinerseits nicht bedarf. Er verweist dabei ohne weiteren Sachkommentar auf einen bereits von ihm veröffentlichten Text.
Wir sehen darin eine eher sehr eigenwillige Selbsteinschätzung. Denn allein dieser Text, der ANHANG zuseinem Buch JENSEITS VON GUT UND BÖSE, offenbart ein zentrales Problem.
1.1. Auf der Suche nach der Position von Schmidt-Salomon
Bei einem Ferienbesuch von Schmidt-Salomon und seiner Familie bei uns an der Nordsee 2007 hatten wir beide heiße Diskussionen über den freien Willen des Menschen. Schmidt-Salomon vertrat damals einen starken Reduktionismus, die Meinung also, dass der menschliche Wille nicht frei sein könne, weil er durch biophysikalische Bedingungen determiniert sei. Meine eigene Position einer menschlichen Willensfreiheit war dagegen nur ganz schwer durchzubringen.
Natürlich fragte ich mich jetzt, wieso ich mit meinem ersten Beitrag zum Erkenntnis-Duell bei Schmidt-Salomon offene Türen einlaufe? Seine Türen waren doch für meine Position immer völlig verschlossen.
Nun also der aufklärende Hinweis: Im ANHANG zur 5. AUFLAGE von JENSEITS VON GUT UND BÖSE hat er seinen Standpunkt erklärt, Seite 317-334. Dort finden wir Schmidt-Salomons neue Überlegungen zu unserem Thema: Hat der Mensch einen freien Willen?
In seinem ANHANG schreibt er heute selber über seine Meinung von damals: In den vergangenen zehn Jahren habe ich in meinen Texten den Aspekt des Reduktionismus zweifellos viel stärker betont als den Aspekt der emergenten Komplexität. Angesichts der vielen Probleme, die durch anti-naturalistische Weltanschauungen (etwa den Kreationismus) hervorgerufen werden, scheint mir diese Strategie auch heute noch sinnvoll zu sein. Dennoch sollten wir nicht den Fehler machen, die Probleme zu übersehen, die sich auch aus einem allzu reduktionistischen Denkansatz ergeben können!
Schmidt-Salomon erklärt weiter in seinem ANHANG, dass ihm Leser seines Buches stark widersprochen hätten. Man warf ihm vor allem vor, dass eine erkenntnistheoretische Erklärung für seinen Standpunkt fehle. Von daher der ANHANG zu seinem Buch.
Mit seinem ANHANG zur 5. AUFLAGE vollzieht Schmidt-Salomon einen gravierenden Sinneswandel. Er gibt seinen Hang zum Determinismus auf und schließt sich jetzt der Theorie des starken, naturalistischen Emergenz-Prinzips an, einem dritten Weg zwischen Reduktionismus und Supranaturalismus/Dualismus: Er schreibt: Wer ernsthaft an einer Einheit des Wissens interessiert ist, sollte sich vom eliminatorischen Reduktionismus ebenso verabschieden wie vom supranaturalistischen Dualismus.
Selbstverständlich kann ein Denker, ein junger allzumal, seine Position variieren, kann in voller Fahrt zwischen vierter und fünfter Auflage „ne volle Halse drehn“. Doch damit hat er dann zwangsläufig auch schwere Probleme:
- Wenn der theoretische Neuansatz des ANHANGS gilt, welche Gültigkeit haben dann noch die Ausführungen der alten Bücher mit dem aufgegebenen Denkansatz. Durch den Neuansatz sind doch alle dezidierten Schlussfolgerungen aus dem vorherigen Denkansatz falsifiziert, oder?
- Wenn die Darstellungen, speziell eben die vielen Schlussfolgerungen aus der alten Theorie, beibehalten werden, ist dann der Neuansatz wirklich überzeugend? Wenn er so eine neue Theorie hat, dann kann er seine alten Ergebnisse doch nicht ohne weiteres so stehen lassen, oder?
Um ganz sicher zu sein habe ich Schmidt-Salomons frühere Bücher, auf die er ja auch weiterhin gerne verweist, (STOLLBERGS INFERNO, EVOLUTIONÄRER HUMANISMUS, LEIBNIZ WAR KEIN BUTTERKEKS,selbst noch ganz konkret in JENSEITS VON GUT UND BÖSE, Seite 305: Abschied von der Willensfreiheit, also wenige Seiten vor dem ANHANG!) noch einmal quergelesen und dabei bestätigt gefunden, dass dort einschlägige Stellen eindeutig deterministisch geprägt sind. Seine alten Einschätzungen des Menschen in diesen Büchern lassen wenig Spielraum für sein jetziges Umdenken.
Praxis steht gegen Theorie, Theorie gegen Praxis. Ich beziehe meine Kritik dabei ganz gezielt auf das Menschenbild, das Schmidt-Salomon einerseits mit seinen früheren Büchern dargestellt hat und dem Menschenbild, das er heute mit seinem Nachtrag eigentlich neu darstellen müsste. Dabei ist doch klar, dass sich zwei völlig verschiedene Dinge ergeben müssten:
Ob ich meine, ja, der Mensch hat einen freien Willen, dann bedingt das ein völlig anderes Menschenbild als wenn ich sage, nein, der Mensch hat keinen freien Willen.
Schmidt-Salomon sagt selber in JENSEITS VON GUT UND BÖSE, ANHANG, 5. Auflage Seite 113:
Eine solche Sichtweise (frei oder unfrei) hat natürlich Konsequenzen für die Beurteilung menschlicher Verhaltensweisen. Welche denn?
Anhand des Menschenbildes ergeben sich also zwei ganz konkrete Fragen:
- Gilt der ANHANG, gilt dann noch das Menschenbild der früheren Bücher und wie?
- Haben die früheren Bücher mit ihrem Menschenbild weiter Gültigkeit, ist dann der neue Theorieansatz wirklich voll gültig?
An Schmidt-Salomons Menschenbild damals und heute entscheidet sich diese Frage der Gültigkeit:
Realia quaerens theoriam. Das praktische Leben prüft die Theorie.
Meinen ersten Beitrag zur Eröffnung dieses Erkenntnis-Duells hatte ich ganz bewusst und gezielt so thematisiert, dass der enge Zusammenhang zwischen Menschenbild einerseits und der Behauptung eines freien oder unfreien Willens andererseits zwingend sichtbar wurde. Beides sind die zwei Seiten derselben Münze.
Es hat mich überhaupt nicht überrascht, dass Schmidt-Salomon auf meine Vorgabe nicht eingegangen ist. Er muss erst schon einmal für sich selbst klären, wie er in dieser neuen Situation verfahren, wie er also die Unterschiede zwischen früher und jetzt auflösen will.
Rückfragen 1 an Dr. Schmidt-Salomon
Sie haben früher sehr überzeugt einen Reduktionismus vertreten. Heute vertreten Sie überzeugt eine starke, naturalistische Emergenz-Theorie.
1. Was war der wesentliche wissenschaftliche Grund für Ihren Sinneswandel?
2. Konnte man diesen Grund auch schon vor Ihrem Sinneswandel wissen? Wenn ja, warum haben Sie diesen dann nicht schon früher aufgenommen?
3. Sehen Sie die Notwendigkeit, einen weiteren Sinneswandel vollziehen zu müssen, wenn Ihre These von der Makrodetermination nicht reicht? Was könnte dafür dann der wesentliche Grund sein, der heute für Sie nicht gilt?
1.2. Schmidt-Salomons „total kaputtes Menschenbild“ und der „freie Wille“
Ich will hier verraten, warum ich Schmidt-Salomon zu Pfingsten auf dem IBKA-Kongress in Köln zu diesem Duell herausgefordert habe. Ich hatte dort sein neues Buch KEINE MACHT DEN DOOFEN in die Hände bekommen und darin in den Vortragspausen gelesen – bis mir dann jegliche Lust daran vergangen ist. Ich konnte einfach die Pöbeleien gegen die Menschen und die Menschheit insgesamt nicht mehr ertragen.
Ehrlich gesagt, habe ich mich schon immer über seine Masche geärgert, den Menschen bei jeder Gelegenheit als nackten Affen oder als Halbaffen zu beschreiben (Siehe dazu den Schluss von JENSEITS VON GUT UND BÖSE, Seite 303 ff: Die Frohe Botschaft für nackte Affen). Kein vernünftiger Mensch bestreitet die Evolutionsabfolge. Darum geht es Schmidt-Salomon auch gar nicht. Er benutzt derartige Vergleiche vielmehr wie eine Schreckschusspistole. Wo immer jemand in einer höheren Weise – unbescheiden – vom Wesen des Menschen spricht, degradiert er den Menschen mit seiner Schreckschusspistole auf die niedrigere Stufe der Affen.
Zitat: Es gibt Menschen, und es sind nicht wenige, die sich durch derartige Aktionen tief in ihrer „Würde“ verletzt fühlen. Abermillionen von Menschen weltweit können sich nicht damit abfinden, dass sie von Affen abstammen. Dabei ist die Realität eigentlich noch viel ernüchternder: Denn es ist nicht bloß so, dass unsere Vorfahren Affen waren, wir sind im Grunde genommen Affen geblieben (op.cit., Seite 304).
Nein! Ich möchte von Schmidt-Salomon nicht als Affe oder Halbaffe – oder wie im neuen Buch als homo demens – bezeichnet werden! In keinerlei Hinsicht. Wenn er das auf sich selbst bezieht, so ist das seine persönliche Angelegenheit. Wenn er das so auf andere bezieht, die ein aufrechtes Bewusstsein haben oder auch nicht, dann ist das eine Ungeheuerlichkeit.
Mit seiner neuen General-Formel homo demens treibt Schmidt-Salomon diesen Erniedrigungseffekt des Menschen auf eine fast unerträgliche Spitze. Wäre er Satiriker, könnte man vielleicht darüber lachen und ihm meinetwegen den Affen-Award verleihen. Aber ist Schmidt-Salomon Satiriker?
Deshalb frage ich nach seinem neuen Menschenbild: Wie kann man nahezu gleichzeitig zwei Bücher schreiben, wobei in dem einen der Mensch vom Ansatz her upgegraded wird als doch wohl freier Mensch, in dem anderen Buch aber behandelt wird wie eine Missgeburt der Gesellschaft ad malam partem. Woher nimmt Schmidt-Salomon überhaupt die Legitimation, so über andere zu pöbeln, brutal generalisierend, rücksichtslos alles vereinfachend, in oft überspitzter Verallgemeinerung oder immer wieder problementstellend verkürzend, selbst hoffnungslos alternativlos. Wodurch ist er dafür zertifiziert? Sonst alles Doofe und Bescheuerte. O-Ton:Religioten, Ökonomioten, Politidioten.
Um mich herum kenne ich viele Menschen, die aufrecht gegen Bedrohungen und Schwierigkeiten in Krankheit, Arbeitsverlust, Ehekrisen und vieles sonst Belastende ankämpfen mit immer neuem Wollen, mit Hoffnung und Ausdauer, Menschen mit bewundernswert gutem Willen, hilfsbereit und zugewandt. Sollen wir uns derer wirklich schämen, selbst wenn sie Meinungen vertreten, die wir für unmöglich halten? Hilft denen die Schreckschusspistole: Du bist ein Affe, gar ein homo demens?
Ich meine auch, dass es richtig ist, dass die EU den Friedensnobelpreis bekommen hat. Eben gerade auch wegen der vielen politischen und ökonomischen Zusammenbrüche, nämlich dafür, dass sie uns trotzdem den Frieden erhalten haben. Das ist eine unglaubliche geistige Leistung. Früher hätte es gerade bei uns längst Krieg gegeben. Dass das nicht mehr so ist, obwohl sich die Krisen potenziert haben, das ist anerkennenswert.
Sind die Menschen dieser Tage im Kampf gegen die Hurrikan-Katastrophe in New York, Haiti, Kuba wirklich alles Idioten? Oder nicht doch bewundernswert diszipliniert, rettungs- und aufbaubereit, zugewandt und human? Vielleicht liegen die Gründe für Lösungsschwierigkeiten doch nicht primär am mangelnden Goodwill und in fehlenden Fähigkeiten der Verantwortlichen, sondern an der immer wieder ungeheuer komplizierten Realität? Wird das von Schmidt-Salomon irgendwie ernsthaft reflektiert, bevor er in seinem Schreibstübchen den Menschen und die Menschheit derart in die Demenz treibt?
Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich kann und muss man die zugespitzte Krise unserer Zeit heute durchaus auch mit dramatischen Bildern beschreiben und kritisieren. Dies tut zum Beispiel auch sehr eindringlich und wirkungsvoll der angesehene Philosoph Michael Theunissen, der in diesen Tagen 80 Jahre alt wird. Er stellt dar, dass der Mensch mit seiner Vernunft eine Katastrophensituation heraufbeschworen hat, die dem Ausmaß der antiken Schicksalstragödie vergleichbar ist, dem Ödipus ähnlich, der unausweichlich in einem von den Göttern vorbestimmten Fluch zugrunde gehen musste.
Da Michael Theunissen fast kämpferisch einen verantwortlichen Entscheidungswillen des und der Menschen vertritt, gibt er auf diese globale Krise eine starke Antwort ad bonam partem: Der Mensch hat die Möglichkeit zur Rettung, und zwar nicht einige wenige Privilegierte, die von sich elitär behaupten ein homo sapiens zu sein, sondern alle Menschen aufgrund ihrer generellen Vernunftfähigkeit und ihres Willens zur Verantwortung. Genau da liegt das humane Additiv.
Schmidt-Salomons Lösungen bleiben dagegen weitgehend irreal, so wie sein Buch mit dem Begriff „Jenseits von Gut und Böse“ beginnt. „Jenseits von“ heißt doch immer, nicht von unserer Welt, sondern irgendwo anders. Alles, was Schmidt-Salomon aufzählt, wird sich bestimmt nie verwirklichen. Es ist einfach jenseits. Zum Beispiel eine „entspannte Gesellschaft“ angesichts von Naturkatastrophen oder radikalen Zeit- und Weltkrisen.
Rückfragen 2 an Dr. Schmidt-Salomon
In Ihrem neuen Buch KEINE MACHT DEN DOOFEN vertreten Sie ein sehr aggressives Menschenbild gegen die Menschheit schlechthin, aber auch gegen jeden Einzelnen.
1. Hat Ihr Sinneswandel in der Frage der Willensfreiheit eine Bedeutung für Ihr Menschenbild, wenn ja, welche?
2. Sehen Sie, wenn ja, diesen Neuansatz in Ihrem neuen Buch konsequent umgesetzt?
3. Würden Sie selber einem Anderen ernsthaft zuhören, wenn er Ihnen – etwa im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl in den USA – die Probleme der Welt und des täglichen Lebens in einer derart bös verallgemeinernden Kritik vorführt: Alles Doofe alles Religioten, Politidioten und Ökonomioten?
1.3. Repräsentation und Zukunft des Atheismus.
Vor kurzem erschien im Humanistischen Pressedienst (hpd) ein Beitrag zu der Veröffentlichung: DER ATHEISMUS HAT KEINE ZUKUNFT. Ich will mich hier nicht auf die spezielle Argumentation des Autors einlassen. Der Titel aber hat in sich höchste Signalwirkung – zugespitzt auch für uns:
D i e s e r Atheismus hat keine Zukunft. Ein Atheismus mit einem Menschenbild ad malam partem, ins total Negative, darf keine Zukunft haben. Ein Atheismus kann und muss die Willenskraft des Menschen ins Positive wenden: Ja, der Mensch kann trotz allem! Er kann aus eigener Kraft und Willen viel mehr Positives, als ihm von Jenseits-Betrachtern welcher Art auch immer zugestanden worden ist und wird.
Letztlich geht es in unserem Erkenntnis-Duell auch um die Frage, wie sich das Denken ohne Gott, wie sich der Atheismus auch auf die Zukunft hin darstellt. Welches Bild vermitteln wir mit unserem kritischen Denken und Leben ohne Gott? Womit geben wir anderen für unsere weltlichen Vorstellungen Vertrauen und Zuversicht? Woraufhin sollen und können sie geistige Annäherung wagen?
Ich kämpfe seit je gegen die geistige Unterdrückung der menschlichen Potenz:
Gegen die geistige Unterdrückung der Menschen durch die Bibel und durch alle ihr nachfolgenden Theologen und Prediger, die den Menschen seit Jahrhunderten die Erbsünde in den Kopf gehämmert haben und den natürlichen Menschen so bis zur Lebensuntüchtigkeit zum Sünder erniedrigt haben.
Gegen alle Schicksalsvisionen, die den Menschen immer wieder vormachen, dass sie zu einem schicksalhaften Untergang verdammt sind – wie der Schicksalsglaube der Griechen in der Antike, die eben am Beispiel des Ödipus glaubten, schicksalhaft dem Untergang ausgeliefert zu sein.
Gegen alle Inschallah-Frömmigkeit, die den Menschen flächendeckend dem Allah-Fatalismus ausliefert und ihn dabei durch Unmündigkeit und Unwissenheit in Fremdbestimmung und Abhängigkeit hält, immer noch religiösen Sitten und Traditionen schutzlos ausgeliefert in Familie, Sippe und Staat.
Deshalb: Die menschliche kritische Vernunft hat nicht all diese verwerflichen Menschheitsmodelle gedanklich überwunden und die Menschen davon frei gesetzt, um sich jetzt von Schmidt-Salomon zum homo demensdegradieren zu lassen!
Ich war neulich – das ist doch auch schon wieder ein paar Wochen her – mit meiner Frau Ute bei uns an der Nordsee hinterm Deich bei dem 8. DEICHBRAND-ROCKFESTIVAL: Über 27.000 angereiste junge Menschen in Zelten auf riesigen Kamps, vier Tage und drei Nächte. Superdimensionale Bühnen, Water-Stage und Fire-Stage – über 50 Bands im Stundentakt. Ein Top-Programm.
Als es am Donnerstagabend losgehen sollte, brach ein wahnsinniger Sturm los und zerstörte in Minutenschnelle das Dach der einen riesigen Bühne und riss alle Bühnenaufbauten nieder mit allen Scheinwerfern und Lautsprecheranlagen. Auch die andere Bühne wurde schwer durchgeschüttelt. Unglaublich. Genereller Abbruch? Alles schien zu Ende, bevor es richtig losging. Hunderte junger Männer und Frauen haben die Nacht durchmalocht, die jungen Chefs mittendrin und organisierten den Neuaufbau gegen Wetter und Zeit. Die jungen Fans blieben diszipliniert und konstruktiv positiv.
Fast pünktlich um 11 Uhr am nächsten Morgen waren die Bühnen wieder bespielbar. Als erste Band standIMMORTAL SIN auf der Bühne, eine Shooting-Band aus Cuxhaven, fünf coole Typen und mittendrin eine junge vitale Sängerin. Trotz schwerer Nacht standen schon tausende Fans vor der Bühne. Die ersten Klänge: Gothic Metal – anspruchsvoller Rock mit tiefgründigem Sound. Eigene deutsche Texte der jungen Leute zu Lebenskrisen: Überlebenskampf von Seeleuten in Sturmgewalten auf hoher See. Konflikt zwischen Einsamkeit und Zweisamkeit auf einer gemeinsamen Reise. Zum Schluss: DIES NUMERATI SUNT, ein eigener Song der Sängerin, als Krankenschwester Abschiedsgedanken am Bett eines schwerkranken Menschen: DIE TAGE SIND GEZÄHLT. Heavy messages am frühen Morgen. Das Publikum, tief bewegt, problembewusst. Angemessen verhaltener, intensiver Beifall.
Am letzten Abend um 22 Uhr dann das letzte Mal vor der Bühne inmitten zigtausender Fans derBEATSTEAKS, den Headlinern des Festivals. Ausgelassene Fröhlichkeit. Begeisterung. Einfach Mensch sein. Im Rocksound offene Arme in den nächtlichen Himmel und umeinander. Tagsüber hatten uns immer wieder junge Menschen angesprochen, wie toll es sei, dass wir Alten bei ihnen mitten drin wären. Wir haben miteinander viel gesprochen über die Eltern, über den Stress ohne Arbeit, den Stress mit Arbeit. Und natürlich über die Musik: Wen mögen Sie … oder Du? Wen magst Du am liebsten? Jennifer Rostock? Ja, die ist toll! Bis nachher!
Unser Tag inmitten der jungen Menschen hat meine Meinung über die Willensfähigkeit der jungen Generation noch einmal nachhaltig gestärkt: Die junge Generation wird die Zukunft schaffen, Es wird zwar vieles zusammenbrechen, anders werden, anders werden müssen. Das wird Opfer kosten, viele. Doch die jungen Menschen heute sind ganz anders als wir damals waren. Sie orientieren sich viel schneller um, sind flexibel, einfallsreich und innovativ, faszinierend offen und kommunikativ, lassen mehr zu, sind aber durchaus beharrlich und durchsetzungswillig. In ihrer Generation steckt ein starker bewusster Wille zum befreiten Leben des Ich.
Wesentlich ist die Erkenntnis des eigenen Willens und damit der eigenen Verantwortung. In ihr liegt die Grunderfahrung der Individualität des Ich.
Diese Grunderfahrung der Individualität des Ich ist das Entscheidende. Das Additiv.
Das, was den Menschen von allem unterscheidet und damit zum Menschen macht: Sein Wille:
Du kannst das.
Das ist der Indikativ.
Du bist ein Mensch.
Also werde ein Mensch!
Das ist der Imperativ.
Tue es! Du musst es wollen! Es liegt in deinem Willen!
Um diese Willensentscheidung, darum geht es mir – auch mit diesem Streitgespräch.
Dass der Affe das nicht verstehen kann, das macht den Affen zum Affen.
Dass der Mensch das verstehen kann und tut, das macht den Menschen zum Menschen.
Rückfragen 3 an Dr. Schmidt-Salomon
Menschen ohne Gott, ob säkulare Humanisten, Freidenker, Agnostiker, allen voran bekennende Atheisten sprechen immer wieder von größtmöglicher Selbstbestimmung des Menschen in allen wichtigen ethischen Fragen, vom § 218 bis zum humanen Sterben.
1. Widerspricht nicht fehlender oder auch eingeschränkter freier Wille der Fähigkeit des Menschen zur Verantwortung? Kann man ohne oder mit nur eingeschränktem freien Willen ethisch verantwortlich handeln?
2. Kann man den Menschen wirklich, wenn man die derzeitige Welt als verantwortungslos brandmarkt, in eine zu verantwortende Zukunft schicken mit der These: Der Mensch hat keinen freien Willen? Alles ist letztlich Schicksal? Sind Sie nicht doch Fatalist?
3. Schafft Atheismus denn unserer angespannten Welt die Realitätsgewissheit einer >entspannten Gesellschaft< > jenseits von Gut und Böse? < Ist das nicht eben so wirklichkeitswidrig und utopisch wie Religion?
2. Teil: Materie schafft Geist: Das Gehirn
Einstieg:
Ich beschreibe nachfolgend Phänomene, die faktische Grundbestandteile der Behauptung eines menschlichen freien Willens sind. Sie stellen sich dar als ganzheitliche Strukturen des Gesamthirns. Wir halten den üblichen Ansatz für falsch, der die Grundkräfte des Hirns so zerstückelt, dass sie nur je in einem begrenzten Bereich zur Wirkung kommen. Ich vertrete vielmehr die ganzheitliche Vorstellung, dass die Grundkräfte des Hirns durchgehend konstant sind, sie dabei aber in jeweils anderen Bereichen anders in Erscheinung treten und andere Funktionen und Wirkungen ausüben.
Ich gehe dabei von drei Grundkonstanten aus. Das sind:
- Die materielle Organstruktur, das Phänomen m (Stoff, Masse – Hyle).
Sie stellt sich konkret dar als Stammhirn, als Limbisches System und als Neokortex.
Dazu ►Teil 2.2 und 3. - Das Steuerungssystem, das Phänomen i (Form, Funktion – Morphe).
Es wirkt als in sich geschlossener Informationskreis im Einzelgehirn wie im Gesamthirn.
Dazu ►Teil 3,1 und 3,2. - Die Bewegungskraft, der Wille, das Phänomen w (Zielvorgabe, Zweck – Telos).
Es ist die bewegende Kraft, die im Ganzen und im Einzelnen die Entwicklung vorantreibt.
Dazu ►Teil 3,3.4 und 5.
Philosophisch gehen diese Kategorien auf die antiken Naturphilosophen zurück, speziell auf Aristoteles (Hyle. Morphe. Telos). Seine strengen Kategorien sind für die begriffsbeschreibende Analyse auch heute noch von elementarer Bedeutung.
2.1. Die Erforschung des Gehirns generell
2.1. seit Max Plancks Vortrag 1899 über den freien Willen
Noch bevor Max Planck am 14. Dezember 1900 mit einem Vortag vor der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin Grundgedanken zu seinem planckschen Wirkungsquantum entwickelte, hatte er vorher schon vor dieser Gesellschaft einen Vortrag gehalten über die Willensfreiheit. Bekanntlich vertrat er damals einen eher deterministischen Standpunkt zu der Frage, ob der Mensch einen freien Willen hätte oder nicht.
Zu bedenken ist dabei, dass Planck damals ganz am Anfang seiner quantenphysikalischen Entdeckungen stand und selber noch nicht ahnte, welche Umbrüche sie auslösen würden. Insofern war das sein erstes, nicht sein letztes Wort zur Sache. Die volle Erkenntnis der Entdeckung stand ihm und seinen Kollegen erst noch bevor.
Wichtig Voraussetzung war, dass er sich zurzeit beider Vorträge mit zwei wissenschaftlichen Themen befasste, aus denen heraus sich seine neue Physik entwickelte:
- Zum einen mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung und damit also mit der Voraussage von Ereignissen.
Wirklichkeit aus Zufall und Notwendigkeit, Unberechenbarkeit und Determination, Vorausbestimmung und Freiheit. - Zum anderen mit dem 2. Hauptsatz der Thermophysik und damit also mit den Bewegungen gasförmiger Materie in geschlossenen Räumen. Das Grundproblem von Entropie und Ordnung.
Beide Spezialthemen bilden die physikalischen Voraussetzungen für ein Verständnis der Auflösung von deterministischen Bindungen im mikrokosmischen Raum. Als einen solchen Raum sah er auch gerade das menschliche Gehirn an. Deshalb beginnt mit ihm auch der Neuansatz der modernen Gehirnforschung. Er schuf mit der Einführung der neuen Vorstellungen von Energie und Materie nicht nur die Voraussetzungen für die Quantenmechanik, sondern auch für die Gehirnforschung.
Die Kopenhagener Erklärung 1926/27 markierte schließlich den Abschluss der Einführung der Quantenphysik. Sie wurde offiziell für anerkannt erklärt und damit die gesamte mikrokosmische Forschung.
Diese Erklärung und auch ihre späteren Weiterungen waren dann bereits über den Forschungsstand hinaus philosophisch-erkenntnistheoretische Interpretationen. Die frühen Quantianer (Heisenberg, Born) haben sich schnell auf weltanschauliche Diskussionen über die Bedeutung ihrer Erkenntnisse eingelassen und sich darüber auch gegeneinander gestritten. Auch Einstein hat sich da heftig eingebracht.
Vor allem ging es immer wieder (bis heute) um die Frage, ob die Quantenphysik ein vollständiges Bild der Wirklichkeit liefert. Ist das mikrokosmische Seinsmodell wirklich eine 1:1 Abbildung der gesamten Weltwirklichkeit. Oder ist es nicht eben doch nur ein Modell, das letztlich nach vorne unbestimmt offen ist und damit natürlich falsifizierbar.
Natürlich haben sich in diese Debatte der Naturwissenschaftler dann auch Theologen und Philosophen eingemischt, oftmals in einer seltsamen Gemengelage: Fromme Naturwissenschaftler mit konservativen Philosophen, liberal-aufgeschlossene Theologen mit radikaleren Naturwissenschaftlern. Zum ersten Mal nahmen Atheisten Stellung.
Dieser Kampf um die Deutungshoheit der Quantenphysik erlangte schließlich um 1967 durch zwei wissenschaftliche Ereignisse einen formalen Höhepunkt:
- Zum einen durch die erste Herztransplantation von Christiaan Barnard mit der provokativen Erkenntnis, dass das Herz nicht der Sitz der Seele (oder Liebe) sei, sondern nichts als eine Pumpe.
- um anderen durch den Durchbruch der Kybernetik und Informationstheorie mit der provokativen Erkenntnis, dass das Gehirn nicht der Sitz der göttlichen Geisteingebung sei, sondern schlicht nur ein riesiger Computer, ein hochqualifizierter Automat.
Beides erschütterte damals das fromme Menschenbild. Beschworen wurden humane Werte, Qualitätsverlust des Lebens, Missachtung der göttlichen Schöpfung. Zehn Jahre später waren Herztransplantationen dann (fast) ein normaler säkularer Vorgang geworden. Ein gewaltiger Entmystifizierung- und Säkularisierungsprozess war damals in den Köpfen der Menschen abgelaufen.
Auf diesem Hintergrund entwickelte sich eine starke Gehirnforschung, aufgefächert in fünf eigenständige Forschungsbereiche:
Gehirnchirurgie: Schon bei früheren Behandlungen von Geisteskrankheiten und Gehirnschäden wurde von den Ärzten versucht, Veränderungen anhand üblicher Normalität zu vermessen und zu beschreiben. Denn immer setzt ja die Definition der Abweichung eine möglichst genaue Definition der Norm voraus. Große Fortschritte entstanden vor allem unter dem Druck der Gehirnchirurgie, weil für sie natürlich punktgenaue Organbestimmung mit jeweils genauen Funktionskenntnissen völlig unerlässlich waren, um sich mit operativen Eingriffen in das Gehirn zu wagen. Heute ist die Bestimmung der Gehirntopographie nicht nur in den Hauptpunkten und Funktionen, sondern auch in vielen Einzelheiten weit vorangeschritten. Die Daten aus diesem Arbeitsbereich sind durchweg Fakten. Ohne diese gehirnchirurgischen Kenntnisse sind Aussagen über den denkenden Menschen heute nahezu belanglos.
Gehirnforschung: Die Gehirnforschung befasst sich generell mit der gesamtheitlichen Beschreibung des Gehirns auf der Basis größtmöglicher Detailkenntnisse. Während anfänglich noch sehr stark religiöse und theologisch-philosophische Einwände berücksichtigt werden mussten, konzentrierte sich dann später die Forschung immer stärker auf die reinen Fakten. Die Gehirnforschung ist heute eine exakte Wissenschaft, die mit hervorragenden Veröffentlichungen auch dem interessierten Laien umfangreiches Wissen zur Verfügung stellt.
Bio-Physik/Chemie: Entscheidend für die neue Gehirnforschung war die Umsetzung der mikrokosmischen Erkenntnisse zum einen in eine Biophysik, also eine Wissenschaft von den physikalischen Vorgängen in den Lebewesen und damit natürlich auch im menschlichen Gehirn; zum anderen in eine Biochemie und damit eine Wissenschaft von der chemischen Zusammensetzung der Organismen und der chemischen Vorgängen in ihnen, die natürlich gerade auch der Neuromedizin völlig neue Wege eröffnet hat.
Genetik und Informationstheorie: Durch molekularbiologische Analysen kann das Muster der persönlichen DNA erkannt werden, die jedem menschlichen Erbgut zugrunde liegt. Darüber hinaus sind Erkenntnisse manifest geworden über den genetischen Code als Schlüssel für die Übertragung genetischer Informationen. Die Forschung ist damit tief eingedrungen gerade auch in die elementarsten Vorgänge des Lebens und damit auch des Gehirns. Es ermöglicht dem Menschen nicht nur genetische Korrekturen zum Umbau oder gar Neuaufbau organischer Strukturen bei Krankheiten, sondern auch Möglichkeiten zu fragwürdigen Manipulationen am menschlichen Gehirn.
Anthropologische Paläontologie: Sie hat in den letzten Jahrzehnten mit ihrer akribischen Arbeit wesentlich zur Erhellung der frühmenschlichen Entwicklungsgeschichte beigetragen. Dabei sind von ihr durch viele Funde uralter Knochen weltweit nicht nur sehr differenzierte Artenentwicklungen der Hominiden belegt worden, sondern auch innerhalb der Arten unterschiedliche Entwicklungsstufen. Erkannt wurde von ihr vor allem auch, dass der aufgerichtete Gang der Hominiden und in dessen Folge das Wachstum des Schädels die Gründe waren für das spezielle Wachsen des Gehirns und damit gerade auch für das Entstehen des Neokortex mit dem Denkhirn.
Fazit:
Gerhard Roth, schon einer der bedeutenden Gehirnforscher unserer Tage, schreibt (mit dem Philosophen Michael Pauen) in ihrem gemeinsamen Buch FREIHEIT. SCHULD UND VERANTWORTUNG. GRUNDZÜGE EINER NATURALISTISCHEN THEORIE DER WILLENSFREIHEIT im Vorwort:
Noch bis vor wenigen Jahren war das Problem der Willensfreiheit in Deutschland nahezu vergessen. Zwar wurden von Zeit zu Zeit akademische Arbeiten zu diesem Thema verfasst, doch mit größerem Interesse oder gar öffentlicher Anteilnahme konnten sie nicht rechnen. Das hat sich in der letzten Zeit dramatisch geändert. Erkenntnisse der Hirnforschung und der experimentellen Psychologie haben gezeigt, dass es notwendig ist, sich neu darüber zu verständigen, was es eigentlich heißt, frei und verantwortlich zu handeln; zur Diskussion stehen damit aber auch die Grenzen und Berührungspunkte zwischen philosophischer und neurowissenschaftlich-experimenteller Arbeit in diesem Feld.
An dieser Stelle beginnt meine konkrete Auseinandersetzung mit Schmidt-Salomon. Ich habe dafür den Punkt 2.1. vorangestellt, um zu zeigen, dass ich zu unserer Duellfrage einen völlig anderen Lösungsansatz habe als Schmidt-Salomon.
Der grundsätzliche Kontroverspunkt zu Schmidt-Salomon ist in der Tat: Die Grenzen und Berührungspunkte zwischen philosophischer und neurowissenschaftlich-experimenteller Arbeit speziell im Bezug auf die Frage nach der Willensfreiheit.
Beim Stand der heutigen Gehirnforschung ist es für mich ohne Bedeutung, was Theologen, Philosophen oder andere “Geistes“-wissenschaften zu dem Thema des menschlichen Geistes je gesagt haben oder sagen, wenn sie sich substantiell nicht voll auf die aktuellen neurowissenschaftlichen Forschungsergebnisse der fünf genannten Gebiete beziehen und für sie ihre Aussagen voraussetzen. Jeden Fremdanspruch auf einen Deutungsprimat außerhalb der vorher genannten Forschungsgebiete lehne ich ab, auch einen noch so schlau daherkommenden philosophischen.
Dagegen hat meine eigene Darstellung zum Ziel, allein auf der Basis der neurowissenschaftlichen Forschung eine Lösungsdarstellung zu versuchen. Grundlagen sind mir dafür nur Ergebnisse, die sich aus der Hirnforschung als aktuell gesichert übernehmen lassen.
Von daher habe ich zu Schmidt-Salomons Argumentationen in seinem ANHANG zur 5. AUFLAGE seines Buches JENSEITS VON GUT UND BÖSE wenig, ja, eigentlich prinzipiell gar keinen Zugang. Natürlich verstehe ich, was darin steht. Wir sind ja philosophisch hoch “verschult“. Mir entziehen sich gerade bei ihm die so plakativ generalisierenden Schlagworte wie eliminatorischer Reduktionismus, Biologismus, supranaturalistischer Dualismus, und auch sein stark, naturalistisches Emergenz-Prinzip als termini emeriti aus den Schubläden des philosophischen Tante-Emma-Ladens.
So hätte man eben auch schon vor hundert Jahren argumentieren können, ohne auch nur ein einziges Ergebnis der modernen Gehirnforschung zu kennen oder zu benennen. Gleichsam von oben herunter diktiert, vom Allgemeinen zum Einen. Ich habe dabei den Eindruck, ich stände vor einem Zigarettenautomaten, bräuchte dringend 2-€-Münzen, habe aber nur 100-€-Scheine in der Hand. Statt konkreter Natur abstrakte Generalismen deduktiv von oben herunter.
Ich werde auf dieses Denken nicht direkt eingehen. Ich denke dagegen induktiv von unten, vom Einzelnen Schritt für Schritt ins Umfassendere, in die Theorie. Wie sonst, gehe ich auch hier von ganz konkreten Einzelheiten der Gehirnforschung aus, um von daher zu Ergebnissen zu kommen. Das ist zwar, auch für den Leser, ein längerer und wohl auch mühsamerer Weg. Aber es lohnt sich. Wir reden so nicht über Abstraktes, sondern begreifen die Dinge im Konkreten.
2.2. Die Erforschung des Gehirns als organischer Körper m(1):
2.2 .Der Mensch und sein tierischer Hirnbestand.
Einstieg:
Wenn wir mit Menschen über Geist sprechen, kommt oft der Begriff Gehirn überhaupt gar nicht vor. Wie selbstverständlich sprechen die Menschen immer noch gleich vom Geist Gottes, zumindest von einer Qualität, die außer und über dem Menschen steht. Katholische Theologen greifen zum DENZINGER, um ihre Geistdefinition dogmatisch an der Kirchenlehre zu sichern, evangelische Theologen, wenn sie sorgfältig arbeiten, suchen in der KONKORDANZ die Bibelstellen heraus, die die Heiligkeit des Geistes belegen; tiefgründige Philosophen landen zwangsläufig in Platons Ideenwelt und damit in der Welt des wahren Geistes.
Der Begriff Gehirn kommt in all diesen Versuchen nirgends vor.
Dagegen steht unsere These: Ohne Gehirn und außerhalb des Gehirns gibt es keinen Geist. Der Geist ist das Gedachte, damit das Produkt des ICH-Bewusstseins, damit das Produkt des Denkens mit rationalen Begriffen, damit das Produkt des Gehirns, damit das Produkt der materiellen Evolution.
Erst mit dem Ausbau des Gehirns bei den Hominiden vor einer Millionen Jahren und einer weiteren Expansion vor 200.000 Jahren war das Gehirn so ausgewachsen, dass in ihm langsam eine Welt des Geistes entstehen konnte.
Davor, fast 4,5 Milliarden Jahre lang, gab es auf der Erde keinen Geist. Die Erde war ohne jeden Geist.
Wollte man das Zeitverhältnis ermessen, wie lang die Zeitstrecke auf Erden ohne Geist war im Verhältnis zur Zeitstrecke auf Erden mit Geist, so gibt es dafür ein sehr plastisches Modell: Wir übertragen die Strecke der 4,5 Milliarden Jahre ohne Geist auf die Gesamthöhe des Empire-State-Buildings (381 Meter). Wir legen dann die Zeitstrecke der Erde mit Geist oben drauf. Das wäre dann so, als würden wir eine Postkarte oben auf das Empire-State-Building flach drauflegen. Die Zeit des Geistes ist nur eine ganz kurze Strecke auf Erden.
Das Gehirn ist also die elementare Basis des Geistes mit all seinen Derivaten: Denken, Erkenntnis, Wissen, Bewusstsein, Rationalität, Intelligenz, Religion, Theologie, Philosophie, Naturwissenschaften, Kultur.
Der Aufbau des Geistes aus dem Gehirn bestätigt sich im Umkehrschluss im Abbau des Geistes:
- Wird das Gehirn verletzt oder von Krankheit, etwa durch Schlaganfall oder Demenz, befallen, dann fallen Bereiche des Gehirns und damit (oft viele) Funktionen aus, die den Geist in Tätigkeit halten.
- Stirbt der Mensch, erlischt das Gehirn, erlischt die Welt des Geistes ganz.
- Würden alle Gehirne erlöschen – warum auch immer – würde der Geist auf Erden völlig erlöschen. Die Erde wäre ohne Geist wie in den ersten 4,5 Milliarden Jahren.
[1] – [4] Das Gehirn als Shop-in-Shop-System
1] Im Gesamthirn des Menschen befinden sich drei unterschiedliche Gehirnteile: Das Stammhirn. Das Limbische System. Der Neokortex. Alle drei wirken in einem großen Funktionsrahmen zusammen, bilden gemeinsam ein in sich zusammenhängendes Ganzes. Dieses Ganze ist in unterschiedlichen Phasen einer langen Evolutionszeit zusammengewachsen und befindet sich heute im Kopf jedes Menschen. Wir vergleichen es am besten mit einem riesigen Steuerungszentrum.
2] Dennoch hat jeder Gehirnteil seine völlig eigenen Funktionen und Aufgaben, die heute durch die Gehirnforschung ziemlich genau bestimmt werden können.
3] Stammhirn und Limbisches System bilden dabei im Menschen einen besonderen Hirnbestand. Es ist jener Hirnbestand im Menschen, den auch die Tiere haben. Viele Ähnlichkeiten zwischen Tier und Mensch (nicht nur Affen und Mensch, das ist eine unzulässige Verkürzung!) erklären sich allein schon dadurch, dass sie diesen gemeinsamen Hirnbestand haben. Der Mensch reicht in seiner Abstammung eben viel weiter in die Vergangenheit zurück als bis zum Affen. Seine Lebenswurzeln reichen zurück bis in die frühste Tierevolution.
4] Also: Stammhirn und Limbisches System bilden den tierischen Hirnbestand im Menschen. Je höher allerdings der Entwicklungsstand einer Tiergattung, desto näher dem Menschen. Besonders nahe die Primaten, allzumal die Menschenaffen, allen voran der Neandertaler.
[5] – [10] Das Stammhirn.
5] Das Stammhirn ist der älteste Hirnteil überhaupt. Ansätze dazu finden sich bereits in der Urzelle.
6] Das Stammhirn konnte nie und kann nicht denken. Seine Funktionen müssen anders erklärt werden.
7] In die Innenwelt gerichtet steuert und kontrolliert das Stammhirn die Funktionen und Bedürfnisse der verschiedenen Organe und ihr Zusammenspiel. Die Organe mit ihren jeweils komplizierten Funktions-systemen arbeiten nur korrekt, wenn sie ausreichend mit Energie versorgt werden. So etwa Herzfrequenz und Blutkreislauf, Atmung und Gasaustausch, Stoffwechsel und Ausscheidung. Ähnlich alle anderen organischen Prozesse.
8] Von der Innenwelt her signalisiert das Stammhirn dringende körperliche Bedürfnisse, die von außen her erledigt werden müssen, als physische Mangelerscheinungen, etwa die notwendige Zufuhr von Sauerstoff – als Atemnot; von Nahrung – als Hungerreiz; von Erholung – als Müdigkeit. Zunehmende Intensität verschärft die Aufforderung zur dringend notwendigen Mangelbehebung.
9] Zur Außenwelt gerichtet nimmt das Stammhirn Eindrücke aus der Außenwelt auf. Dazu werden unterschiedliche Sensoren, die fünf Sinnesorgane, mit je völlig eigenen Funktionen benutzt: Die Augen etwa nehmen Erscheinungsformen der Umwelt in visuellen Einprägungen auf; die Ohren setzen äußere Bewegungen um in auditorische Eindrücke; Mund und Nase als Geschmacks- und Geruchssinn, Hautoberfläche als Tast- und Gleichgewicht. Alle Sinne sind nach außen gerichtete Empfangsstationen mit je eigenen Aufnahmekriterien.
10] Das Stammhirn ist in seinen Wahrnehmungen signalgesteuert, das heißt, seine äußerst komplexen Sinnesrezeptoren reagieren auf Reize. Seine entscheidende Leistung besteht darin, diese Reize in neurochemische oder neuroelektronische Codes umzusetzen und an das Limbische System, die nächst höhere Hirninstanz, weiterzuleiten – zur Bewertung und zum Handlungsvollzug.
[11] – [14] Das Limbisches System
11] Auch das Limbische System kann nicht denken.
Wenngleich in diesem Hirnteil Aktivitäten stattfinden, die schon immer unmittelbar mit dem Denken in Verbindung gebracht worden sind. Im Limbischen System sitzen die Emotionen, Regungen also, die wir landläufig als Gefühle bezeichnen. In der gegenwärtigen Diskussion ist dieser ganze Bereich neu benannt als Ort der Emotionalen Intelligenz (EQ).
12] Das Limbische System ist entwicklungsgeschichtlich eng mit dem Stammhirn verbunden, gleichsam seine funktionale Weiterentwicklung. Es setzt die Leistung des Stammhirns direkt voraus, indem es dessen Meldungen unmittelbar aufnimmt. Deshalb gibt es eine Fülle von direkten Nervenverbindungen speziell vom Stammhirn zum Limbischen System. Über sie werden durch neurochemische, neuroelektronische und neurophotosynthetische Signale unterschiedliche limbische Empfangszonen in Erregung versetzt. Diese Erregungszustände bewirken immer neue limbische Informationsbefunde, die dieses System dann auswertet und in motorische Reaktionen, also in Handlung umsetzt.
13] In seinen Handlungen ist das Primärziel des Limbischen Systems der Schutz des Individuums vor Bedrohung jeder Art seitens der Außenwelt. Die fünf Sinne decken durch ihre hohe Sensibilität die Kontrolle des gesamten nahen Außenraums ab. Durch direkte Weiterleitung der Sinnesreize kommt es zur schnellst möglichen Reaktion. Dabei kann das Limbische System auf das eindimensionale Alarmsignal “ Unlust“ schalten und die Unlustverhinderung als motorische Handlung auslösen.
14] Die Unlustverhinderung bei externer Bedrohung des Individuums wirkt gleichsam automatisch, ist im Limbischen System einprogrammiert jeweils als eine von zwei möglichen Reaktionen
Entweder durch Flucht:
Das Lebewesen weicht der Gefahr aus. Zum Beispiel ist das Pferd ein typisches Fluchttier. Auf äußere Bedrohung wendet es sich ab und flieht in „panischer Angst“. Diese Flucht ist im Tier eine triebgesteuerte Reaktion des Limbischen Systems.
Oder durch Aggression:
Das Lebewesen leistet Widerstand gegen die Bedrohung. Zum Beispiel greift der Stier als ein typisches Kampftier in „blinder Wut“ die Bedrohung an. Auch diese Aggression ist eine triebgesteuerte Reaktion des Limbischen Systems.
Auch der Mensch reagiert mit seinem Limbischen System direkt und ohne Nachdenken. Das vorgeschaltete Limbische System lässt den nachgeschalteten Neokortex bis zum Abschluss der limbisch-motorischen Reaktion abgeschaltet. In dieser Reduktion auf die Kurzschaltung ohne Neokortex liegt die limbische Möglichkeit der Blitzreaktion zum schnellstmöglichen Schutz des Individuums vor dem Bedrohungspotential.
Fazit:
Es ist völlig klar, dass der Mensch aus der Evolution heraus zu seiner tierischen Vorwelt engste Beziehung hat, die weit zurückreicht über die Affen hinaus bis in die Frühzeit tierischer Evolution.
Gerade aber diese Feststellung fordert die Erkenntnis heraus, dass der Mensch ganzheitlich nicht allein und letztgültig aus dem tierischen Sockel zu erklären ist. Das genuin Menschliche liegt in einem Additiv über das Tierische hinaus.
Das menschliche Additiv liegt begründet in der Entwicklung und Ausprägung des Neokortex.
2.3. Die Erforschung des Gehirns als organischer Körper m (2):
2.3. Der Mensch und sein exklusiver Hirnbestand: Der Neokortex
Einstieg:
Der Neokortex ist der dritte Gehirnteil. Er nimmt gegenüber den beiden anderen Hirnteilen eine Sonderstellung ein. Es gibt ihn für uns derzeit erkennbar nur im Menschen. Rein faktisch also lässt sich nur am Menschen selbst die Bedeutung des Neokortex darstellen.
Bei seiner Darstellung und Betrachtung bleiben wir völlig erdbezogen. Weiterführende Kosmos bezogene Schlussfolgerungen diskutieren wir in 3.5. Hier bleiben wir in der rein faktisch erkennbaren Realität.
[15] – [18] Die Entstehung des Neokortex
15] Allein der Neokortex ist der Hirnteil, in dem sich das Denken ausbildet. Ausschließlich in und mit ihm ist das Denken möglich, zugleich alle daraus entstehenden Erscheinungsformen wie rationale Intelligenz, Erkenntnis, Wissen, Ich-Bewusstsein, Geist, Kultur.
Trotz dieser Sonderstellung wäre es falsch, den Neokortex isoliert zu verstehen, gleichsam als eine Art aufgepfropften Fremdkörper. Vielmehr ist auch der Neokortex von seinen Anfängen her eine kontinuierliche Weiterentwicklung speziell des vorausgeschalteten Limbischen Systems. Er ist insofern auch schon früh bei Wirbeltieren in elementaren Ansätzen vorhanden und bildet insgesamt ein weiterführendes Ganzes.
16] Dennoch muss man die Stellung des Neokortex als höhere Entwicklungsstufe bewerten. Denn der ursprüngliche Neokortex hat vor einer Million Jahren innerhalb der Evolution der Primaten einen wesentlichen Entwicklungssprung gemacht. Vor 200.000 Jahren ist er noch einmal sprunghaft expandiert. In seinem jetzigen Zustand der Höchstentwicklung ist er ausschließlich beim Homo sapiens, beim Jetztmenschen, ausgeprägt.
17] Dabei erreicht das Denken in der Menschheitsgeschichte mit den Kulturbewusstsein der Menschen vor 6.000 Jahren zum ersten Mal eine in sich geschlossene Ideen- und Vorstellungswelt, die der Ideen- und Vorstellungswelt unseres heutigen Denkens in etwa entspricht. Deshalb könnten wir heutigen Menschen mit den Menschen von damals zumindest im Ansatz kommunizieren.
18] Auf dieser Niveauebene verglichen ist unsere moderne Kultur also in ihrer Erkenntnis- und Wissens-methodik kaum mehr als 6.000 Jahre alt, denn erst zu diesem Zeitpunkt der langen menschlichen Evolution erkennen wir zum ersten Mal im frühen Kulturmenschen: Geist von unserem Geist.
Fazit:
Das Gedachte, der Geist, ist also in seiner Elementarstufe eine in sich geschlossene Geisteswelt des Einzelnen, ja, die Einzigartigkeit des menschlichen Individuums ist bedingt und gewährleistet durch die Singularität seiner ihm eigenen Geisteswelt. Allein in ihr liegt die Ich-Identität, das Selbst.
Auch in der Wechselbeziehung des Individuums zu anderen Individuen bleibt der Einzelne definiert durch die ihm eigene Geisteswelt. Denn durch den Austausch mit anderen wird der persönliche Wissenstand zwar komplexer, das ändert aber nicht das Prinzip der Singularität der eigenen Geisteswelt. Gerade auch in der Kultur als Kumulation vergangener und gegenwärtiger individueller Geisteskräfte wird es in der Elementarstufe nie eine gleiche Geisteswelt der je einzelnen Individuen geben.
3. Teil: Der Wille erlangt im Neokortex seine größtmögliche Freisetzung als Entscheidungen des Ich-Bewusstseins
Einleitung:
Auf der Basis der materiellen organischen Bedingungen der drei Gehirne lässt sich jetzt deren energetischer Kreislauf als ein ebenfalls in sich einheitlich ablaufender Prozess darstellen.
3.1. Das Phänomen i
[19] – [22] Der energetische Prozess i im Gehirn
19] Als Größe i bezeichnen wir jene Vorgänge, die im Gehirn zwischen Neuronen hergestellt, ausgetauscht und gespeichert werden. Dabei ist i zu verstehen als Materie in je spezifischer Form, genauer: Ein Produkt, das in und als Wandlung von Energie und Masse entsteht. Insofern gründet i prinzipiell in mikrokosmischen Prozessen.
20] Die Annahme, dass i eine in sich immer statisch feste Größe sei, ist nicht zwingend vorgegeben. Im Gegenteil. Es legt sich der Gedanke nahe, dass i im Gehirn als immer gleiche Substanz bei jeweils anderen Konditionierungen in jeweils anderen Formen zur Wirkung kommt und jeweils andere Aufgaben erfüllt. Ein Energieprozess also, der sich immer neu und unterschiedlich vergegenständlicht.
21] Vergleichbar etwa dem Prozess, der sich im Wandel von chemischen Elementen bei sich veränderten Außenwirkungen (Zufuhr von Wärmenergie) als unterschiedlichen Aggregatzuständen ergibt, etwa beim Wasser: Unter Null als Eis, über Null als Wasser, über 100 Grad als Gas, hocherhitzt als Plasma. Jeweils das gleiche Element durch äußere Umstände im Wandel in unterschiedliche Aggregatzustände.
[22] – [30] Die Bedeutung des 2. Hauptsatzes der Wärmephysik
22] Für die Wandlung von i im Gehirn bietet der 2. Hauptsatz einen wichtigen Deutungsansatz. Wir haben schon oben darauf hingewiesen, dass sich Max Planck im Zusammenhang mit der Quantenkonstanten intensiv mit der Willensfreiheit beschäftigt und dabei speziell den 2. Haupsatz der Thermophysik in Anwendung gebracht hat. Entsprechend führen wir diese Funktion nun an dieser Stelle ein, um den Wandlungprozess von i erklärbar zu machen.
23] Der 2. Hauptsatz bedeutet im Experiment: In einem großen Behälter als einem geschlossenen System befindet sich ein Gasgemisch bei geringer Temperatur in ruhiger Lage. Durch Zufuhr von Wärmeenergie wird das Gasgemisch erhitzt. Die Atome geraten mit zunehmender Temperatur in immer schnellere Bewegung. Sie lösen sich aus ihren molekularen Bindungen und schaffen immer größere Unordnungszustände.
24] Entropie ist der größtmögliche Unordnungszustand in einem geschlossenen System.
25] In reversiver Betrachtung lässt sich das Anwachsen der Entropie als ständiger Abbau von neuen Ordnungszuständen definieren. Je schneller die Entropie fortschreitet, desto schneller ändern sich die Ordnungszustände in Richtung Null.
26) Jeder Ordnungszustand ist deshalb immer nur ein zeitbegrenzter Zustand, ein flüchtiger Vorgang, ein Wandlungspunkt. Er ist zugleich irreversibel, also unumkehrbar und unwiederholbar und damit unverwechselbar und einzigartig.
27] Entropie ist zugleich ein mikrokosmischer Prozess. Er lässt sich nicht direkt in makrokosmische Räume übertragen. Dort herrscht die Urknallenergie Gravitation. Gravitation ist eine der vier Energien, die im Urknall freigesetzt wurden und dabei die größte kosmische Entropie der Materie (Chaostheorie) hergestellt wurde. Das Entwicklungsprinzip der Gravitation ist die Evolution, die Herstellung von komplexen Ordnungen. Beide Prinzipien, Entropie und Evolution, sind deshalb nur schwer kompatibel denkbar.
28] Im mikrokosmischen Bereich gibt es keine Gravitation. Dort wirken die drei anderen Urknall-Energien: Elektromagnetische Kraft. Schwache Kernkraft. Starke Kernkraft.
[29] – [30] Entropie und Ordnungszustände im Gehirn des Menschen
29] Der Abbau von Ordnungszuständen im Aufbau von Entropie ist ein absolutes Merkmal der einzelnen Gehirnteile. Überall da, wo es zu schnellen Reaktionen kommen muss, funktioniert dieses Prinzip, zum Beispiel da, wo das Stammhirn über die Sinnesorgane Reize einer bedrohenden Außenwelt aufnimmt, sie zu hirninternen Informationen umarbeitet und an das Limbische Gehirn weiterleitet, das dann mit ihnen motorische Handlungen des Körpers auslöst. In diesem Ablauf vollziehen sich im Blitztempo ständige Auflösungen und Neuherstellungen von Ordnungszuständen, die in sich Informationen darstellen und vermitteln.
30] Im Gesamthirn, und damit eben auch in einem mikrokosmischen Bereich, wird der Wandlungsprozess zwischen den Neuronen hergestellt durch neurochemische, neuroelektronische und neurophotosynthetischer Prozesse. i als energetischer Prozess zwischen den Neuronen ist zugleich DNA. Codierung. Sinnesreize. Input. Impuls. Information. Motorische Reaktion. Einfall. Idee. Gedanke. Theorie. Die geistige Kopfwelt. Die Welt des Geistes. Bewusstsein. Reflexion. Entscheidungsfindung. Willensentscheidung.
Wir verdeutlichen diesen elementaren Grundprozess im Gehirn mit einigen konkreten Zuordnungen in den einzelnen Gehirnen.
31] Steuerung i und Determination im Stammhirn
A) AUFGABEN des Stammhirns
- Im innerkörperlichen, organischen Bereich müssen abgebrannte Energien durch Zufuhr adäquater neuer Energien erneuert werden. Dies geschieht durch Nahrungszufuhr und Stoffwechsel.
- In der Öffnung zur Außenwelt müssen die Eindrücke der Sinnesorgane aufgenommen und zu einem Zustandsbericht über die Gefahren aus dem unmittelbaren Umfeld des Individuums verdichtet werden.
- Das Stammhirn vollzieht selbst keine motorischen Aktionen zur Lösung auftretender Probleme. Es muss vielmehr Informationen organischer Mangelerscheinungen und über Bedrohungen aus dem Außenbereich auf direktem Weg an das Limbische System weiterleiten.
B) STEUERUNGSSYSTEM des Stammhirns:
- Die dreifache Arbeitsausrichtung läuft streng ab gemäss Arbeitsplan der DNA. Die DNA ist das Kontroll- und Leitsystem aller organischen Abläufe innen und aller Wahrnehmungsabläufe von außen.
- Die organischen Regelungskreise sind gemäß DNA neurochemische Prozesse.
- Die Sinnesreize werden als neuroelektronische Informationen an das Limbische System weitergeleitet.
C) DETERMINATION des Stammhirns:
Im Stammhirn herrscht strengste Determination. Alle energetischen Abläufe sind eindeutig durch die DNA bestimmt. Auch die elektronischen Informationen an das Limbische System werden automatisch gesteuert.
Der Wille W und der energetische Prozess der Steuerungsabläufe i der DNA sind nahezu identisch, laufen parallel, sind nicht zu trennen. Der Wille W erscheint selbst als ein Bestandteil der DNA.
- Dennoch: Es besteht eine winzige Abweichung zwischen W und i. Das Stammhirn schickt aus der riesigen Masse der auf sie aus der Außenwelt einstürzenden Impulse nur einen Bruchteil davon als Information weiter an das Limbische System. Alle Impulse mit nur schwacher Leistung werden von ihm ausgefiltert und bei der Gefahrenabwägung als bedeutungslos unterdrückt.
Hierin könnte man eine erste winzige Abweichung des Phänomens W vom Phänomen i erkennen, eine allererste Verselbstständigung von W gegenüber i. Allerdings ist auch dieses W vollständig automatisiert und zentralgesteuert.
32] Steuerung i und Determination im Limbischen System
A) AUFGABEN im Limbischen System:
- Empfang und Umarbeitung der aus dem Stammhirn eintreffenden Informationen mit sofortiger Umsetzung in motorische Handlung, In zwei Richtungen: a. Flucht, b. Aggression.
- Aufbau eines limbischen Gedächtnisses (Hippocampus), das schnellstmöglich abrufbar ist.
- Nach Abschluss der limbischen Rettungsaktion direkte Weiterleitung des Casus an den Neokortex.
B) STEUERUNGSSYSTEM im Limbischen System
- Das Limbische System hat keinen eigenen Zugang zur Außenwelt. Es empfängt Informationen über die Außenwelt nur über das Stammhirn per elektronische Impulse, wechselnde elektronische Ordnungszustände.
- Das limbische Gedächtnis funktioniert als kybernetischer Regelkreis per Input – Speichern – Output.
- Die Handlungen werden chemisch durch Hormone in Gang gesetzt in Blitzreaktionen: Fluchtreaktionen durch Angsthormone, Aggressionen durch Wuthormone. Das Ausbleiben von Unlust ermöglicht ein Lustgefühl, das bei Tieren schwach mit Glückshormonen gestützt ist. Bei Menschen ist dieser Zustand durch sehr hohen Hormonbestand stark ausgebaut.
C) DETERMINATION im Limbischen System:
Die Abläufe im Limbischen System sind ebenfalls streng determiniert. In allen organischen Funktionen und in allen Verbindungen zu den anderen Gehirnteilen finden keinerlei Abweichungen statt.
W und i laufen absolut parallel.
- An einer Stelle ist allerdings deutlich eine Splittung zu erkennen:
Das Limbische System spreizt seine Handlungsreaktion in zwei gegenläufige Richtungen, in Flucht oder Standhalten. Selbst wenn diese Splittung triebgesteuert determiniert ist, bleibt damit dennoch eine Öffnung gegenüber einem totalen Automatensystem, darstellbar an dem beobachteten Verhalten einer Krähe:
Eine Krähe sitzt auf der Straße auf einem Stück überfahrenen Aas. Ich fahre mit dem Fahrrad näher an die Krähe heran. Eigentlich müsste sie längst wegfliegen. Stattdessen hält sie hartnäckig ihre Stellung auf ihrer Beute. Langsam fahre ich noch ein Stück auf sie zu. Sie hüpft weg, hüpft wieder zurück, pickt, hat mich genau im Blick. Als ich den Arm hebe, setzt sie an zum flatternden Absprung, kommt trippelnd wieder zurück. Wir machen dieses Beziehungsspiel mehrmals. Immer ist sie wieder da. Bis ich dann mit dem Vorderrad hart aufsetze und sie in panischer Angst davonfliegt. Dabei schrecke ich hoch durch ihr feindlich-böses Gekrächtze, das man noch über den Bäumen hört.
Ein spannende r Vorgang.
Die Krähe ist durch eine doppelte Bindung in schwierige Entscheidungslage versetzt und dadurch in ihrer Handhandlungsweise paralysiert. Sie ist zwischen zwei Antrieben, zwischen Angsttrieb und Beutetrieb gleichsam aufgehängt. Es bedürfte einer klaren eigenen Willensentscheidung. Dazu aber ist sie nicht in der Lage, nicht dazu befähigt.
3.2. Der riesige Funktionsraum von i im Neokortex.
3.2. Er ist nicht die menschliche Willensfreiheit. Er ist deren Voraussetzung.
[41] – [44] Der Neokortex bietet für seine Aktivitäten einen größtmöglichen Funktionsraum
41] Das Wachsen des Neokortex bedeutet zunächst nur eine rein organische Vergrößerung des Gehirns. In Folge des zunehmend aufrechten Ganges des Affenprimaten hat sich in den Hominiden in mehreren Wachstumsphasen das Schädelvolumen deutlich vergrößert, speziell noch einmal in den letzten 200.000 Jahren. Dabei ist die Gehirnmasse, speziell die des Neokortex, stark angewachsen. Das hat zur wesentlichen Erweiterung der Gehirntätigkeiten mit völlig neuen Funktionen geführt.
42] Das Gewicht des Gehirns. Das Gewicht des männlichen Gehirns liegt heute bei 1,5 Kilo, das der Frau bei etwa 1,2 Kilo. Dabei liegt in dieser Abweichung nicht eine mindere weibliche Denkfähigkeit, sondern eine Anpassung an den Schädeltyp. Die Denkfähigkeit liegt nicht allein in der Gehirnmasse, sondern in einer Relationsformel Gehirnmasse zum Körpergewicht. Das erklärt, warum der Elefant ein viel größeres Gehirn hat als der Mensch, dies aber in Relation zum Körpergewicht eine viel kleinere Leistung im Vergleich zum Menschen bringt.
43] Die Größe des Neokortex: Wenn man den Neokortex aufrollt, dann ergibt sich eine riesige Schalttafelfläche von etwa 36 m². Auf dieser Schalttafel sind weit über 100 Milliarden Gehirnzellen untergebracht. Das entspricht in etwa dem Funktionssystem der 100.000 Milliarden Sonnensystemen in unserer Galaxie, also gegenüber dem makrokosmischen ein ebenso gewaltiger mikrokosmischer Funktionsraum.
44] Neuronenkapazität und Diagonalschaltungen
Die 100 Milliarden Neuronen sind nicht einzeln angelegt, sondern in völlig unterschiedlichen Gruppierungen im Verbund zu Tausenden, Zigtausenden, ja, Hunderttausenden mit jeweils eigenen Aufgaben. Die neuronalen Schaltverbindungen sind nicht allein zweidimensional von Nachbarneuron zu Nachbarneuron ausgelegt, wenngleich das schon ein riesiges Informationsnetz ergäbe. Die meisten Gehirnzellen sind sogar dreidimensional verbunden, also zusätzlich diagonal durch den Raum. Dadurch ergibt sich eine ungeheure Potenzierung der Gehirnkapazität.
Von daher versteht sich Albert Einsteins Feststellung, dass der Mensch sein Gehirn selbst bei Höchstleistung nur zu maximal fünf Prozent auslastet. Die Beschränktheit des Menschen liegt also nicht am Mangel zur Verfügung stehender Gehirnkapazität.
[45] – [46] Die zwei Hauptaufgaben des Neokortex:
45] Im Neokortex laufen zwei Arbeitsfelder parallel:
– Arbeitsfeld 1: Die Bildung abstrakter Begriffe und die Herstellung einer Gedankenwelt
– Arbeitsfeld 2: Der Ausbau des Ich-Bewusstseins zur befreiten Willensentscheidung
46] Für unsere Problemlösung der Willensfreiheit ist es von größter Bedeutung, dass im Neokortex diese beiden Arbeitsbereiche aufs Genaueste unterschieden und auseinander gehalten werden. Sie sind zwar eng aufeinander bezogen, stellen aber völlig eigene Funktionssysteme dar.
[47 ] – [48] Arbeitsfeld 1 im Neokortex:
Die Bildung abstrakter Begriffe und die Herstellung einer Gedankenwelt im Neokortex
47] Das Denkhirn ist eine in sich geschlossene Blackbox mit Input und Output. Diese Blackbox hat keinen direkten Zugang zur Außenwelt. Alle Informationen, die das Denkhirn erhält, empfängt es ausschließlich vom Limbischen System. Es gibt daneben keinen eigenen Empfangskanal des Denkhirns von der Außenwelt her.
48] Das bedeutet: Das Denkhirn denkt nur nach. Alles was im Neokortex abläuft, ist nur nachwirkende Reflexion zu den Eindrücken, die vom Stammhirn aufgenommen, in Auswahl an das Limbische System verschlüsselt weitergeleitet, dort verarbeitet und von dort dann erneut an das Denkhirn weitergeleitet werden. Das Denkhirn erfährt die objektive Wirklichkeit also nie direkt, sondern immer nur in mehrmals gebrochener Verarbeitung. Dabei ist der Neokortex außerhalb des aktuellen Ablaufs letzte Station, letzte Instanz. Einen anderen Weg von der Außenwelt ins Denkhirn gibt es nicht. Übrigens auch keinen anderen gesonderten religiösen Kanal für transzendente Sondermeldungen vom Himmel her.
[49] – [56] Die Bildung abstrakter Begriffe
49] Das Limbische System sendet an das Denkhirn non-verbale Informationen. Es kann sich selbst nicht in abstrakte Begriffe fassen. Kein Limbisches System kann Baum, Hunger und auch nicht Ich sagen oder verstehen, weil es keinen abstrakten Begriff Ich bilden kann. Es kann überhaupt keine abstrakten Begriffe, gar abstrakte Gedankenketten herstellen, also auch nicht in solchen denken und handeln, sondern arbeitet nur mit non-verbalen Informationen.
50] Deshalb ist die limbische Arbeitsleistung überhaupt nicht der kortikalen Arbeitsleistung vergleichbar, also mit dem, was im Denkhirn abläuft. Limbische Intelligenz ist nicht kortikale Intelligenz, limbischer EQ ist nicht kortikaler IQ.
51] Das Limbische System sendet also an das Denkhirn neuronale, nonverbale Signale. Das Denkhirn verwandelt diese limbischen Signale in abstrakte Begriffe. Darin liegt die primäre Aufgabe des Denkhirns.
52] Das Denkhirn verwandelt und fasst damit die nonverbalen limbischen Wahrnehmungen in eine völlig neue Form, und setzt damit die Wirklichkeit der Außenwelt um in eine Sprach- und Denkwelt. Da also, wo abstrakte Begriffe entstehen und benutzt werden, da ist das Denkhirn, generell und absolut.
53] Umkehrschluss: Ohne abstrakte Begriffe gibt es keine Denkleistung, gibt es kein rationales Erkennen, kein rationales Wissen, keine Welt des Geistes. Was der Mensch nicht in Begriffe fassen kann, gibt es für ihn in seinem kortikalen Bewusstsein nicht, ist ihm gedanklich nicht verfügbar.
54] Begriffe bilden nicht nur Wörter in Sprachen und Zeichen. Abstrakte Begriffsformen sind auch mathematische Formeln, physikalische Modelle und Grafiken und Tabellen, alle technische Zeichnungen, aber auch alle Kunstbilder, Noten, die Musik erfassen und tradieren. Sie abstrahieren die Natur und die Wirklichkeit. Die gesamte Kultur des Menschen ist aufgebaut auf einer kortikalen Begriffsstruktur aufgrund der limbischen Wahrnehmungen der Natur und der Wirklichkeit.
55] Die abstrakten Benennungen (Begriffe) der vom Limbischen System vermittelten Wahrnehmungen und ihre sprachlichen Ausformungen bilden eine völlig andere Welt als die reale Natur und Wirklichkeit selber. Sie begründen die Kopfwelt des Menschen und dessen Gedankenwelt. Diese Gedankenwelt ist also nicht das wirkliche Sein selbst, sondern immer nur ein subjektives Abbild der realen Natur und Wirklichkeit.
56] Ohne das Denken in Begriffen stand und stünde der Mensch entwicklungsgeschichtlich noch auf dem limbischen Niveau der Primaten. Mit den kortikalen Begriffen steht der Mensch auf einem geistigen Bewusstseinsniveau, das von keiner anderen derzeitigen Lebewesensart erreicht wird und werden kann.
[57] – [60] Das Steuerungssystem des Denkhirns.
Die Gedanken sind die Quantensprünge des Denkhirns.
57] Die Begriffe sind die Bausteine des Denkens. Sie bilden die kleinste Einheit (griechisch: atomos) des Denkhirns. Wir wagen dazu einen Modellvergleich, um diese These in 57] zu verdeutlichen:
58] Ein Begriff ist gleichsam ein atomos, ein Atom des Denkprozesses. Er beinhaltet nicht die Wirklichkeit, sondern ein Stück eigene geschaffene Wirklichkeit der menschlichen Kopfwelt.
59] Ein Begriff, der in einem Gedankengang, in einer Reflexion bewegt wird, ist gleichsam ein ionisiertes Begriffsatom. Ein Begriff wird bewegt durch Hinzufügungen (Adaption) oder Streichungen (Reduktion) weiterer Gedankenteilchen. Wir nennen so einen gedanklichen Bewegungsprozess Reflexion. Reflexion findet nur im Neokortex statt.
60] Dabei können Begriffe zu Gedankenmolekülen, zu Gedankengruppen zusammengebaut werden. Die Gedankenmoleküle können zu endlosen Gedankenketten zusammengefügt werden.
[61] – [64] Determination im Denkhirn:
Unschärfetheorie der Entstehung der Gedankenbildung im Denkhirn
61] In welchen Gedankensprüngen die Reflexion von Begriffen im individuellen Denkhirn freigesetzt werden, ist gemäß Heisenbergs Unschärfe-Formel Ort und Zeit eines Quantensprungs sind nicht gleichzeitig bestimmbar, das heißt, nicht exakt voraussagbar. In der kognitiven Gedankenbildung definiertet sich die Unschärfe-Formel so: Reale Wirklichkeit, Wahrnehmung und Begriff bilden keine 1:1 Kongruenz. Es besteht nie eine objektive Kausalität. Es besteht immer eine subjektive Abweichung.
62] Auf die Frage Was fällt dir zu der Frage ein? ist nicht sicher voraussehbar, womit das befragte Denkhirn aus sich heraus reagiert. Antworten geschehen, ohne dass sie im Zeitpunkt und Inhalt genau vorher zu berechnen sind. Die Gedankenprozesse wirken im Individuum prinzipiell eigen gesteuert. Sie können in völlig unterschiedlichen Formen auftreten:
62a] Im Normal-Alltäglichen als Ideen, als Einfälle, als Gedankenblitze. Sie können Fakten, Erklärungen, Wünsche beinhalten. Gerade Wünsche, Hoffnungen, Werte und Ideale prägen die subjektive Gedankenwelt.
62b] In der Traumwelt, in Wachträumen und zwanghaften Visionen als verschlüsselte Bilder in völlig eigener Syntax, die nur gedeutet werden kann. Trotzdem äußern sich gerade darin tiefe Bewusstwerdungsabläufe des Menschen, oftmals als Problembewältigung oder als Zukunftsperspektiven.
62c] In der Vorstellungswelt als genial erscheinender Persönlichkeiten in visionären Projekten mit außergewöhnlichen Innovationen und richtungsweisender Gestaltungskraft.
62d] In neurologischen Krankheitsbildern, in denen die üblichen logischen Denkregeln und Umgangs-formen entkonditioniert erscheinen und somit den üblichen Gesellschaftsformen zuwider laufend.
63] Die Motorik der Denkprozesse ist von einer eigene Rationalität des Denkhirns bestimmt, die durchaus Bewusstsein bildet, keineswegs aber nach zwingend stringenter rationaler Logik, sondern immer wieder in assoziativer Komplexität. Das heißt, sie kann von sich aus Komponenten zusammenfügen, die in einer externen Logik nicht zusammen gehören.
64] Für die Frage nach der Willensfreiheit ist die Frage nach Wesen und Qualität des menschlichen Denkens, in dem ja die Willensfreiheit abläuft, von unbedingter Voraussetzung. Ohne Frage nach dem Wesen des menschlichen Denkens ist die Frage nach der Willensfreiheit wie Schifffahren ohne Wasser.
[65] – [68] Der Mensch kann auf seine Gedankenwelt beliebig zurückgreifen
65] Das Ich ist nicht das Denkhirn. Das Denkhirn ist nicht das Ich. Das Ich ist dem Denkhirn gegenüber eine externe Institution als Selbstbewusstsein. Von daher sind die Gedankenwelt und das Ich nicht identisch, sondern stehen in ständig angespannter Korrespondenz.
66] Das Ich kann jederzeit und muss immer wieder auf sein Denkhirn und damit auf seine Gedankenspeicher zurückgreifen und von dort sein gesammeltes Wissen abgerufen. Der Mensch hat mit seinem Denkprozess einen offenen Zugang zu seinem Wissen.
67] Darin liegt ein fundamentaler Fortschritt in der Bewusstwerdung des Menschen gegenüber den Primaten: Der Mensch kann beliebig über sein gespeichertes Wissen verfügen. Anders als im Limbischen System, wo nur solche gespeicherten Daten aus dem Gedächtnis abgerufen werden können, die der Bedrohungssituation entsprechen, also immer nur ganz begrenzter Speichersätze.
68] Dagegen herrscht im Denkhirn größtmöglicher Verfügungsfreiraum über das gesammelte Wissen. Das Ich kann zu jeder Zeit über alles nachdenken und planen, eben in völliger Beliebigkeit. Das Ich kann auch über Bedrohungen nachdenken, wenn es überhaupt keine Bedrohungen gibt. Darin liegt die prinzipielle Entbindung des Menschen aus automatisierten Bewusstseinszwängen und -verengungen des Limbischen Systems.
[69] – [74] Die Gedankenwelt des Denkhirns ist vom Menschen begrenzt steuerbar
69] Der Mensch kann darüber hinaus im begrenzten Maße auf sein Denkhirn Einfluss nehmen.
70] Er kann seinem Denken eine Aufgabe, gar Aufgabenfolgen stellen und damit dem Denkprozess von außen, von seinem Ich her Ziele setzen, nämlich die gestellten Aufgaben ohne aktuelle Situationsbindung zu lösen. Das ist der entscheidende Punkt, dass der Mensch seiner Reflexion von seinem Ich-Bewusstsein her freie Denkziele setzen kann.
71] So entstehen immer fortlaufend vom Ich gesteuerte zielgerichtete kognitive Reflexionsprozesse. Von daher ist die Gedankenwelt ein freier Spielraum des Denkens. Allerdings stellt die genaue Beobachtung fest, dass das, was das Gehirn an Argumenten freigibt, keineswegs immer den Ich-Erwartungen entspricht. Das Gehirn kann durchaus fragwürdige, ja, völlig falsche Informationen liefern. Irren ist menschlich.
72] Steuerungssysteme des logischen Denkens: Das Ich bestimmt die Handlung.
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73] Hat man immer wieder über ein spezielles Problem nachgedacht und ist nicht zu einer Lösung gekommen, so kann es passieren, dass man morgens aufwacht, und wie unverhofft die Lösung parat hat.
Im Schlafzustand hat das Gehirn in sich weiter gedacht und Gedanken synchronisiert, worauf man so Tags vorher trotz aller Anstrengung nicht gekommen war.
74] Das beweist noch einmal, dass einerseits Gedanken im Denken des Menschen entstehen ohne direkten Zugriffe des Menschen. Andererseits gilt eindeutig, dass die Gedankenabläufe gesteuert und kontrolliert werden können durch intensiven Eingriff des Ich-Bewusstseins.
[75] – [78] Die Gedanken sind frei, aber nicht Ausdruck eines freien Willens
75] Insofern sind im Menschen in vielerlei Hinsicht die Gedanken frei.
76] Dennoch sind die Gedanken selber nicht Ausdruck eines freien Willen des Ich. Sie sind nur Ausdruck für die freie Beliebigkeit des Denkens. Die Gedankenwelt ist immer nur ein indifferenter, unverbindlicher individueller Denkfreiraum.
77] Dennoch sind sie die Voraussetzung dafür, dass sich der Mensch überhaupt freier entwickeln konnte.
78] Doch der freie Wille vollzieht sich nicht in der Blackbox des Denkhirns und mit dessen beliebigem Hin- und Herdenken. Freier Wille vollzieht sich ausschließlich in einer konkreten Tat, in einem manifesten Handeln im Ich-Bewusstsein des Individuums. Siehe zu diesem Grundsatz später xx] ff.
[79] – [82] Aufbau und Ausbau der Gedankenwelt des Ich als Voraussetzung der Willensfreiheit
79] Jeder Gedanke ist entstanden und entsteht im Denkprozess des je einzelnen Individuums auf der Basis von Begriffen. Außerhalb des Individuums ist nie eine Idee entstanden. Deshalb ist das einzelne Individuum immer der Ausgangspunkt und wird es immer sein, auch für die Frage der Willensfreiheit. Entscheidend ist der konkrete Mensch in seiner realen körperlichen und geistigen Anlage, nicht die abstrakten philosophischen Spekulationen über ihn.
80] Aus dem Denken des einzelnen Individuums ist ein kollektives Bewusstsein entstanden, die Kultur. Letztlich ist die Kultur die Sammlung alles verfügbaren Gedachten. Die Welt des Geistes ist somit entstanden aus dem Denkprozess der je einzelnen Individuen und von daher angewachsen zu einem kollektiven Bewusstsein, zur Kultur im Gegensatz zur Natur, zur Gesamtheit der Welt des Geistes.
81] Mit zunehmender Kultur ist der einzelne Mensch immer stärker in das kollektive Bewusstsein eingebunden, kontrolliert und bestimmt worden. Schon indem der Mensch seine Muttersprache lernt, wird er in seinen zukünftigen Wahrnehmungen fremdbestimmt. Mit dem Lernen der Begriffe übernimmt er die Grundstrukturen des kollektiven Bewusstseins, der Kultur.
82] Die kognitiven Begriffe und Gedankenketten werden in seinem Gedächtnis abgespeichert.
[83] – [88] Das Denkhirn braucht Zeit zum Lernen: Reflexion und Entscheidungsfindung sind langwierige Prozesse.
83] In Begriffen zu denken, muss jeder Mensch nach seiner Geburt lernen. Sie sind ihm nicht angeboren, sondern anerzogen durch das Mitdenken mit anderen Individuen. Allein schon die Übernahme dieser Begriffe kostet immens viel Zeit. Eigentlich lernt der Mensch das ganze Leben lang. Er lernt sie aus dem großen Wissensspeicher seiner Kultur, in dem das Denken zusammengefasst und systematisiert ist.
84] Dagegen ist das Limbische System angeboren. Der erste Schrei des Kindes ist kein angelerntes kognitives Begrüßungszeremoniell, sondern urtümlicher limbischer Ausdruck für körperliche Bedürfnisse. Das limbische Warnsystem funktioniert und reagiert deshalb sofort mit Geburt. Das Denkhirn nicht. Das Limbische System ist auch später immer die allererste und schnellste Reaktion im Menschen. Das Denkhirn nicht. Das Denkhirn ist dem Limbischen System prinzipiell nachgeordnet, weil es erst agieren kann, wenn es vom Limbischen System Informationen erhalten hat.
85] Zu allererst reagiert immer erst das Limbische System, gerade auch in kritischen Situationen. Auf Neues hin entscheidet es in Bruchteilen von Sekunden über Bedrohung oder Nichtbedrohung für das Selbst.
86] Faustregel: Alle direkten, schnellen Entscheidungen sind limbische Entscheidungen, nie Entscheidungen des Denkhirns. Das Denkhirn braucht Zeit, um Entscheidungen zu treffen. Die schnellen Reaktionen des Limbischen Systems haben überhaupt nichts mit den reflektierten Entscheidungen des Denkhirns zu tun.
87] Der Volksmund spricht von Bauchgefühl und Kopfentscheidung – im Extremfall total konträre Dinge: Das Bauchgefühl signalisiert Liebe auf den ersten Blick, das Nachdenkhirn spricht noch Jahre danach vom größten Fehler des Lebens.
88] Mit der Tatsache, dass die limbische Reaktion immer der kortikalen Aktion vorausgeht, fallen fast achtzig Prozent aller menschlichen Handlungen für die Beurteilungen des freien Willens im Menschen weg, denn sie sind gar keine kortikalen, sondern schlicht limbische Entscheidungen. Limbische Entscheidungen aber können auf gar keinen Fall freie Entscheidungen sein, weil triebgesteuert. Damit scheiden sie für die Bewertung unserer Duell-Frage diskussionslos aus. Deshalb unsere
[89] – [94] Schlussfolgerung 1 zum freien Willen des Menschen:
Die meisten Reaktionen des Menschen sind überhaupt gar keine Entscheidungen des Denkhirns, sondern sind triebgesteuerte Reaktionen des Limbischen Systems. Sie haben für die Frage der menschlichen Willensfreiheit keinerlei Bedeutung.
89] Auch heute noch ist es großflächig verbreitet, empirische Fragen eher deduktiv als induktiv zu beantworten. Deduktiv bedeutet: Erst einmal wird ein Ergebnis behauptet und dann werden Kriterien gesucht, die beweisen können, dass das vorausgesagte Ergebnis richtig ist. Induktiv bedeutet: Es wird erst der reine Tatbestand so genau wie möglich untersucht und daraus dann Schritt für Schritt ein mögliches Ergebnis formuliert. Diesem zweitgenannten Weg wissen wir uns mit unserer argumentativ aufbauenden Darstellung verpflichtet.
90] Dabei sind wir mit unserem Ausschlussergebnis in 88] jetzt so weit, dass wir uns aus der breiten Vielfalt der Erkenntnisforschung auf den Bereich konzentrieren können, in dem das menschliche Bewusstsein offen ist für freie Willensentscheidungen.
91] Das ist eben nur ein ganz schmaler Pfad der menschlichen Geist-Evolution im Verhältnis zu seiner Gesamtentwicklung, nämlich seine allerletzte höchste evolutionäre Spitze. Es betrifft eben nicht – wie der Anschein meinen lässt – das menschliche Gesamtverhalten generell, sondern vergleichsweise nur Ausnahmesituationen. Der Mensch steht keineswegs ständig vor freien Willensentscheidungen, sondern nur in Ausnahmefällen, die sich allerdings generell jeder Zeit ereignen können. Ansonsten lebt der Mensch durchweg in einem Gleichmaß vorprogrammierter Verhaltensweisen, eben mit einem hohen Anteil limbisch bedingter Reaktionen und kognitiver Gewohnheiten.
92] Das bedeutet zweitens, dass wir uns jetzt dem Bereich zuwenden, aus dem heraus sich die Möglichkeit der freien Willensentscheidung als conditio humana entwickelt hat.
93] Das betrifft die Entwicklung der kortikal-objektivierenden Denkfähigkeit aus dem limbisch- subjektivierenden Emotionalverhalten und ihre heute synergistisches Zusammenwirken.
94] Diese Beziehung ist nur verständlich darzustellen, weil wir jetzt alle vorausgegangenen Vorüberlegungen parat haben, um die sich gegenseitig bedingende Zusammenarbeit zwischen Neokortex und Limbischen System in Bezug auf die freie Willensentscheidung des Menschen darzustellen
[95] – [100] Ursächlich hat sich das Denken des Menschen aus dem Limbischen System entwickelt
95] Die Aufgabe des Limbischen Systems bestand und besteht darin, das Individuum gegen (alle) Bedrohungen von innen, vor allem aber von außen zu schützen. Denn das einzelne Leben hat natürlich nur so viel Überlebenschance, wie es nicht nur entsteht, sondern wie es vor allem auch möglichst lange weiter existieren kann. Das Verlängern des Lebens gegenüber den äußeren Gefahren ist ein äußerst komplexer Vorgang, kaum weniger kompliziert als die Reproduktion von Leben.
96] Die Wahrnehmungen der limbischen (= emotionalen) Intelligenz zielen somit auf die elementare Selbstschutzbedürftigkeit des Individuums. Aus der Sicht des Limbischen Systems spielt sich das Leben ab in ständiger Überlebenskunst, für viele Tiere gemäß ihrem limbischen Instinkt unterwegs zwischen ewigem Fressen und ständiger Flucht oder Aggressionen. Deshalb hat das Tier einen absolut subjektiv ausgeprägten und ausgerichteten Instinkt. Totale Subjektivität ist Kennzeichen aller emotionalen Intelligenz.
97] Eben in dieser Selbstschutzbedürftigkeit funktionieren die fünf Sinnesorgane. Doch die fünf Sinne beschränken sich auf das Erkennen aktueller Bedrohung auf die Wahrnehmung dessen, was in Bezug auf das Individuum gerade passiert.
98] Das kognitive Denken ist ursächlich eine Weiterbildung des Limbischen Systems. Es hat sich gleichsam als sechster Sinn entwickelt, indem es dem Individuum einen vorausplanenden Blick auf das dem Individuum Bevorstehende verschafft hat.
99] Das Entwicklungsprinzip war eigentlich einfach: Die im limbischen Gedächtnis gespeicherten Wahrnehmungen wurden nach vorne hin freigegeben als mögliche Wiederkehr! bereits erfahrener Situationen. Eigenes Erleben und Überleben kam so nicht mehr nur als spontaner Impuls für aktuelle Reaktionen zur Wirkung, sondern zunehmend auch als reflektierte Modellplanung für Handeln auf Zukunft hin. Von daher entwickelte sich langsames Vorplanen, um gefährliche Situationen zu umgehen, Bedrohungen welcher Art auch immer zu vermeiden – oder ihnen bewusst entgegen zu treten.
100] Von daher entstand erstes freieres Denken und auch Handeln auf Zukunft hin, die Basis jeder freien Willensentscheidung. Diese entscheidende Erweiterung der Gedächtnisfunktion im Frühmenschen wurde möglich durch eine Entkonditionierung des mechanistischen Willens im Limbischen System (siehe dazu in xx] das Beispiel von der Krähe), und einer dagegen völlig neuartigen kortikalen Öffnung des Denk- und Handlungsspielraums nach vorne in die Zukunft.
Hierin liegt der wesentliche Ansatz des Neokortex als ursächlich sechstes Sinnesorgan des Limbischen Systems.
[101] – [102] Das erklärt, warum kulturgeschichtlich das Denken der Menschen ursächlich total ichbestimmt (Religion) war und kindheitsgeschichtlich immer ichbezogen beginnt.
101] Das frühe Bewusstwerden der Menschheit und des Menschen im Neokortex gründet evolutionsbestimmt im totalen limbischen Ich-Bezug, ist aufs äußerste subjektiv. Objektives Erkennen ist ihnen völlig fremd und bleibt den Menschen ein lang und hart umkämpfter Weg der Bewusstwerdung und Aufklärung in die Zukunft (dazu xx]).
102] Von diesem Ansatz her werden alle wesentlichen Weiterungen im Neokortex in Gang gesetzt.
[103] – [106] Das rationale Ich schafft sich mit dem Denkhirn eine eigene Welt des Geistes, eine kognitive Kopfwelt
103] Wir hatten oben in 47-48] ausführlich dargestellt, dass das Denkhirn den Ich-Bestand des Limbischen Systems übernimmt und ihn in ein eigenes Begriffssystem überträgt. Diese Welt des Geistes im Individuum als das Gedachte ist nun gerade gegenüber der Natur ein ganz außergewöhnliches Phänomen, denn: Das Gedachte ist zwar Produkt der materiellen Realität, aber es beinhaltet nicht zwingend die materielle Realität.
104] Das Gedachte ist nicht zwingend die objektive Wiedergabe des Seins. Das Stirnhirn, das Zentrum des denkenden Hirns, hat sich ganz offensichtlich in der ersten großen Entwicklungsphase nicht in ein Bewusstsein hinein entwickelt, das dem denkenden Menschen ein objektives Verständnis des realen Seins ermöglicht. Es war also von Anfang an nie ein naturwissenschaftliches Laboratorium zur exakten Erforschung und Darlegung von Naturprozessen. Es war nie darauf aus, wissenschaftliche Definitionen objektiver Wirklichkeit zu erstellen.
105] Die Welt des Geistes ist eine eigenständige Kopfwelt, ein gedanklicher Spielraum, in dem der Mensch sich alles so einrichten kann, wie er es für sich möchte. In ihm lassen sich Zeit und Raum beliebig überschreiten, Begründungen willkürlich verschieben, Zusammenhänge aufheben. Gerade auch völlige Falsch- und Fehleinschätzungen sind denkbar, logische Widersprüche jeder Art, Befürchtungen und Ängste, Hoffnungen und alles, was als nicht begriffen durch die Gedanken vagabundiert.
106] Diese gesamte Gedankenbildung hat ursächlich das einzige Ziel, einen noch besseren Selbstschutz für das Individuum zu schaffen. Mit zunehmender Lebensentfaltung bedeutet das für viele Menschen heute nicht mehr täglicher Überlebenskampf, sondern Selbstverwirklichung in vielerlei Hinsicht: Liebe und Glück. Lebensfreude und Schöngeist. Wissen und Bildung. Frieden und gesellschaftliche Ordnung. Erfolg und Anerkennung. Macht und Wohlstand. Gesundheit und langes Leben. Selbst (oder gerade auch) Atheisten glauben an Ideen und Werte, kämpfen für Aufklärung, autonome Freiheit und Humanität.
[107] – [110] Nominalia non sunt realia.
Die Kopfwelt des Menschen, die Welt des Geistes, ist keine 1:1 Abbildung der Natur und der realen Wirklichkeit
107] In diesem Spielraum als eine Kopfwelt kann sich der Mensch eine Antiwelt zur Realität aufbauen, in der sich das subjektorientierte Denkbewusstsein in seiner gefühlten Ich-Wirklichkeit austobt. In ihr lassen sich Situationen erträumen, imaginieren, spekulieren, Zukunftspläne machen, unerreichbare Ziele verwirklichen, “Sterne vom Himmel holen“, Gräueltaten planen, jede Menge von Utopien und Visionen produzieren, über sich selbst das Schönste oder auch da Schlimmste denken, alles, was im Kopf durcheinander geht, lässt sich ernstnehmen oder auch nicht.
108] Die größte Spekulation des Menschen in seiner Kopfwelt ist Gott. Auf Gott hin glaubt der Mensch alles, was er zu seinem Wohlbefinden glauben möchte. Mit seinem “Glauben“ überschreitet er locker die natürliche in ein andere Wirklichkeit – eine grenzenlose Kopfwelt, völlig frei, willkürlich, spekulativ. Contra naturam.
109] Die naturbedingte Wirklichkeit, das reale Sein, das Diesseitig-Manifeste ist dagegen von dieser geistig spekulativen Kopfwelt völlig unabhängig und funktioniert unberührt in seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten – auch auf den Menschen hin. Dieses naturreale Sein geschieht aus sich heraus und ist als Welt der Natur in sich ohne Widersprüche. Es hat in sich keine logischen Probleme. Es existiert, es produziert, es evolutioniert – es vergeht, es stirbt, es erlischt. Mikro- und Makrokosmos, Pflanzen- und Tierwelt bis hin zur Gehirnstufe des Limbischen Systems auch im Menschen stehen so in evolutionären Zwang der Naturgesetze. Die reale Wirklichkeit ist völlig unabhängig vom spekulativen Bewusstsein des kognitiven Gehirns.
110] Nur der Mensch ist mit seiner subjektiven Kopfwelt völlig quer, in logischen Widersprüchen mit allem, in größtmögliche Distanz zu sich selbst als Natur, steht als Natur gegen die Natur. Die Kopfwelt des Menschen ist der einzige Ort in der Realität, wo Natur als Natur nicht konform mit der Natur abläuft: Dennoch ist die Kopfwelt des Menschen natürlich Produkt der Natur, die höchste Stufe des Seins, die die Natur in sich selbst gegen sich selbst geschaffen hat.
Fazit:
[111] – [114]} Die freie Gedankenwelt als Voraussetzung der Willensfreiheit Schlussfolgerung 2 zum freien Willen des Menschen:
111] Die freie Gedankenwelt ist nicht die Willensfreiheit des Ich.
112] Die freie Gedankenwelt ist die Voraussetzung der Willensfreiheit des Ich.
113] Die freie Gedankenwelt schafft den Rahmen, in dem das Ich seine Realität übersteigen und in alternativen Modellen auf Zukunft hin vorausplanen kann.
114] Die freie Gedankenwelt schafft dem Ich in Entscheidungsfällen die Möglichkeit, aufgrund alternativer Modelle mit seinem freien Willen über seine Zukunft zu verfügen.